Anna Schlatter-Bernet

Anna Schlatter, geb. Bernet (* 5. November 1773 in St. Gallen; † 25. Februar 1826 ebenda) war eine Schweizer Laientheologin und Autorin. Sie spielte eine bedeutende Rolle in der Erweckungsbewegung.

Anna Schlatter

Leben

Anna Bernet stammte aus einer einflussreichen St. Galler Familie. Ihr Großvater Hans Kaspar Bernet war von 1752 bis 1764 regierender Bürgermeister; ihr Vater war der Fabrikant und Ratsherr Caspar Bernet (1735–1800). Sie heiratete 1794 den kürzlich verwitweten Kaufmann Hector Schlatter, mit dem sie 13 Kinder hatte und den sie als tüchtige Geschäftsfrau unterstützte. Von Johann Kaspar Lavater geprägt, entwickelte sie daneben eine umfassende karitative Tätigkeit im Sinne der Erweckungsbewegung. Sie gründete den ersten Frauenverein in St. Gallen und knüpfte durch Briefe sowie ihre Gastfreundschaft und gelegentliche Reisen ein ausgedehntes Kommunikationsnetz. Sie korrespondierte nicht nur mit Persönlichkeiten der Erweckungsbewegung wie Johann Heinrich Jung-Stilling, Juliane von Krüdener und Christian Friedrich Spittler sowie der Herzogin Henriette von Württemberg, sondern auch mit liberalen Theologen wie Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Martin Leberecht de Wette. Ihre überkonfessionelle Weite wird auch in den engen Beziehungen zur katholischen Allgäuer Erweckungsbewegung sichtbar, z. B. zu Johannes Goßner und Martin Boos. Diesen versuchte sie in Briefen an zwei für seine Gefangenschaft in Linz mitverantwortliche Domherren zu unterstützen. Ihre Aussagen zeigten behutsam Unterschiede gegenüber einer engen konfessionellen Haltung. So, wenn sie ihre eigene Haltung erläuterte:

Ich machte „mir’s von jeher zur Pflicht, Katholiken wie Protestanten, mit Rat, Hülfe und Trost zu dienen, wo ich konnte, ohne zu fragen: Zu welcher Kirche gehörst du? Nur, was bedarfst du? Und kann ich helfen?“

Außerdem spielte sie auf die inquisitorische Außerachtlassung des Briefgeheimnisses durch das kirchliche Gericht in Linz an:

„In einem freien Lande und bei einer Kirche geboren und erzogen, wo von Gewissenszwang, Correspondenz und deren Untersuchung nie die Rede ist, hatte ich keine Idee, daß meine Briefe einst in andere, als meines väterlichen Freundes Hände, kommen könnten.“[1]

Der katholische Moraltheologe und spätere Bischof Johann Michael Sailer verbrachte mehrfach seinen Urlaub in ihrem Haus.

Neben zahlreichen Briefen schrieb Anna Schlatter auch biblische Betrachtungen Gedichte und Kirchenlieder sowie einen Eheratgeber für ihre Töchter. Die meisten Werke wurden erst nach ihrem Tode von ihrem Schwiegersohn Franz Ludwig Zahn und ihrem Enkel Franz Michael Zahn herausgegeben. Zu ihren Enkeln gehörten ferner der Hallenser ev.-reformierte Domprediger Adolph Zahn und die Neutestamentler Theodor Zahn sowie Adolf Schlatter, der Pädagoge Johannes Zahn und die Schriftstellerin Dora Schlatter.

Schriften

  • Anna Schlatter’s Schriftlicher Nachlaß / für ihre Angehörigen u. Freunde hrsg. von Franz Ludwig Zahn. Meurs : Rheinische Schulbuchhandlung, 1835.
Bd. 1: Gedichte.
Bd. 2: Kleinere Aufsätze.
  • Anna Schlatter’s Leben und Nachlass. Herausgegeben v. Franz Michael Zahn.
Bd. 1: Leben und Briefe an ihre Kinder. Elberfeld [1864] Digitalisat.
Bd. 2: Briefe an ihre Freunde. Bremen: Valett, 1865.
Bd. 3: Gedichte und kleinere Aufsätze. Bremen: Valett, 1865 Digitalisat.
  • Anna Schlatter’s Ehestandsbuechlein : Eine Festgabe für Braut- und Eheleute. Elberfeld 1868.
  • Frauenbriefe / von Anna Schlatter, Wilhelmine von der Heydt und Kleophea Zahn. Herausgegeben von Adolph Zahn. Halle, Fricke, 1862 (3. Aufl. 1875)
  • Ewigkeit in die Zeit leuchte hell herein! Aus ihren Briefen. Zürich : Gotthelf, 1951.
  • Anna Schlatters Reisebericht zu Zentren der Erweckung. Beobachtungen einer Schweizerin in Deutschland. In: Martin H. Jung: Nachfolger, Visionärinnen, Kirchenkritiker. Theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zum Pietismus. Leipzig 2003, S. 219–264.

Literatur

in der Reihenfolge des Erscheinens

  • Albrecht Ritschl: Geschichte des Pietismus. Bd. 1: Der Pietismus in der reformierten Kirche. Bonn 1880, S. 541–564.
  • Johannes Ninck: Anna Schlatter und ihre Kinder. Leipzig/ Hamburg 1934.
  • Peter Zimmerling: Starke fromme Frauen. Begegnungen mit Erdmuthe von Zinzendorf, Juliane von Krüdener, Anna Schlatter, Friederike Fliedner, Dora Rappard-Gobat, Eva von Tiele-Winckler, Ruth von Kleist-Retzow. Gießen/Basel, Brunnen, 1996, 3. Auflage 1999.
  • Marianne Jehle-Wildberger: Anna Schlatter-Bernet (1773–1826). Eine weltoffene St. Galler Christin. St. Gallen 2003.
  • Hans Hermann Fries: Schlatter-Bernet, Anna. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 24, Bautz, Nordhausen 2005, ISBN 3-88309-247-9, Sp. 1284–1286.
  • Martin H. Jung: Anna Schlatters Deutschlandreise 1821. Beobachtungen und Erlebnisse einer erweckten Schweizerin im Wuppertal und in Württemberg. In: Gudrun Litz, Heidrun Munzert, Roland Liebenberg (Hrsg.): Frömmigkeit, Theologie, Frömmigkeitstheologie : Contributions to European Church History : Festschrift für Berndt Hamm zum 60. Geburtstag. Leiden, Brill, 2005 (Studies in the History of Christian Traditions 124), S. 689–705.
  • Rudolf Gebhard: Anna Schlatter-Bernet (1773–1826). Seelsorge im Raum der Ökumene. In: Peter Zimmerling (Hrsg.): Evangelische Seelsorgerinnen – Biographische Skizzen. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2005, S. 142–157.
  • Marianne Jehle-Wildberger: Zwischen Heiligsprechung und Domestizierung. Anna Schlatter-Bernet (1773–1826). In: Ulrike Gleixner, Erika Hebeisen (Hrsg.): Gendering Tradition. Erinnerungskultur und Geschlecht im Pietismus. Korb 2007, S. 47–66.
  • Rudolf Gebhard: Erweckliche Spiritualität – Anna Schlatter-Bernet (1773–1826). In: Peter Zimmerling (Hrsg.): Handbuch Evangelische Spiritualität, Bd. 1: Geschichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, ISBN 978-3-525-56719-7, S. 567–587.

Einzelbelege

  1. Zwei Ausschnitte aus einem Brief vom 1. Aug. 1815. Siehe Johannes Goßner (Hrsg.): Martin Boos, der Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Seine Selbstbiographie, neu hg. von Franz Graf-Stuhlhofer. Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 2012, S. 368 f.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.