Anna Nikolajewna Wolkowa
Anna Nikolajewna Wolkowa (russisch Анна Николаевна Волкова, * 30. Oktober 1902 in Sankt Petersburg, Russisches Kaiserreich; † 1973 in Spanien)[1][2][3] war eine russische Modedesignerin, Spionin und Nazi-Kollaborateurin.[4][5][6]
Biografie
Anna Wolkowas Vater war Admiral Nikolai Wolkow, der Marineattaché des Russischen Reiches in London. Sie wurde von einer Gouvernante unterrichtet. Nach der Oktoberrevolution siedelte ihre Familie 1919 ins Vereinigte Königreich um. Bis sie 21 war besuchte Wolkowa die Architectural Association School of Architecture und machte danach eine Ausbildung zur Schneiderin. Sie war eine Antisemitin und wurde in den 1930er-Jahren pronazistisch. Sie hatte mehrfach den NS-Staat besucht und sich mit hochrangigen deutschen Beamten und Beamtinnen getroffen, darunter Hans Frank, Elsa von Gutmann und Rudolf Heß. Wolkowas Meinung nach wäre es wundervoll gewesen, wenn Adolf Hitler das Vereinigte Königreich übernommen hätte. Seit 1935 wurde sie vom MI5 überwacht, der annahm, dass sie daran beteiligt war, Staatsgeheimnisse an die deutsche Regierung zu schicken.[1][2][3][5][7][8]
Im selben Jahr gründete sie das Modehaus Anna de Wollkoff Haute Couture Modes im West End, in dem von ihr kreierte Modeartikel verkauft wurden. Dies hatte ihr Prominenz in der Modewelt verschafft. Wallis Simpson und Marina, Duchess of Kent zählten zu ihren Kundinnen. Eine ihrer Kreationen wurde im April 1937 von Cecil Beaton für die Vogue fotografiert. Sie hatte Ballkleider und Roben für die Krönung von Eduard VIII. entworfen. Außerdem trat sie in einer Dokumentation des The March of Time auf. 1939 musste sie das Modehaus schließen, weil ihr Geldgeber nicht mehr in ein defizitäres Unternehmen investieren wollte.[3][5][9][10]
Im selben Jahr trat sie dem Right Club bei, einer antisemitischen[2][8] Organisation, dessen Mitglieder während des Sitzkriegs verschiedene subversive Aktionen durchgeführt und sich regelmäßig im Russian Tea Rooms, einem Café in Süd-Kensington, dessen Eigentümerin Wolkowas Familie war, getroffen haben. Archibald Ramsay war der Leiter des Right Club und Wolkowa wurde seine persönliche Assistentin. Im Februar 1940 traf sie Tyler Kent zum ersten Mal. Die beiden teilten die Auffassung, der Zweite Weltkrieg sei eine jüdische Verschwörung. Darauf wurde Kent ein regelmäßiger Besucher des Russian Tea Rooms. Im März begegnete er Ramsay, und die drei stimmten darüber überein, dieselben politischen Ansichten zu haben.[1][2][3]
Tyler-Kent-Affäre
Archibald Ramsay und Wolkowa waren an Tyler Kents Diebstahl von wichtigen Dokumenten aus der amerikanischen Botschaft beteiligt, die Schriftverkehr zwischen Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill enthalten haben. Laut einer Ermittlung des MI5 war sie mit William Joyce in Kontakt gewesen, während er aus Deutschland gesendet hat. Ihre Kommunikation mit ihm fand mit Hilfe eines Sekretärs der belgischen Botschaft statt, der ihre Nachrichten an das auswärtige Amt in Brüssel weitergeleitet und die von dort nach Deutschland gesendet wurden. Sie war die Quelle des Materials, das nach Rumänien durch einen anderen diplomatischen Kanal geschickt wurde und nach Berlin gesendet werden sollte. Zudem fertigte sie am 13. April 1940 Kopien der von Kent gestohlenen Dokumente an, die dann an den stellvertretenden Marineattaché der italienischen Botschaft weitergeleitet wurden. Kurz darauf fing der MI8 Nachrichten zwischen Rom und Berlin ab, die andeuteten, dass Wilhelm Canaris, der Leiter der Abwehr, nun Kopien des Schriftverkehrs zwischen Roosevelt und Churchill besaß, der die Grundlage für das spätere Zerstörer-für-Stützpunkte-Abkommen gewesen war.[1][2][6][7][10][11][12]
Bald darauf bat Wolkowa Joan Miller, eine MI5-Agentin, die den Right Club infiltriert hatte, ihre Kontakte in der italienischen Botschaft dazu zu verwenden, einen chiffrierten Brief an William Joyce in Deutschland zu senden. Der Brief enthielt Informationen, die er für seine Sendungen beim Reichssender Hamburg hätte verwenden können. Miller zeigte Maxwell Knight diesen Brief. Wolkowa wurde im Mai verhaftet. Ihr wurde vorgeworfen, streng geheime Militär- und Regierungsdokumente gestohlen und mit dem Feind kommuniziert zu haben, um die Niederlage des Vereinigten Königreichs gegen Deutschland hervorzurufen. Am 7. November 1940 wurde sie im Old Bailey zu zehn Jahren Haft verurteilt da sie laut der Begründung des Gerichts eine Nazi-Spionin gewesen sei, die versucht hatte, dem Feind zu helfen. Laut dem Richter hatte ihre antijüdische Besessenheit ihre Charakterstärke zerstört.[1][2][5][7][11][12]
1943 wurde ihr die britische Staatsbürgerschaft entzogen. 1947 verließ sie das Gefängnis und zog nach Spanien um, wo sie 1973 bei einem Autounfall starb.[1][2]
Privates
Annas Mutter Wera war eine Hofdame von Alix von Hessen-Darmstadt.[3] Annas jüdische Tante hatte polnischen Juden geholfen, über Litauen nach Palästina zu entkommen.[13]
Weblinks
Einzelnachweise
- John Simkin: Anna Wolkoff. In: spartacus-educational.com. Abgerufen am 8. Mai 2023.
- Richard Griffiths: What Did You Do During the War? - The Last Throes of the British Pro-Nazi Right, 1940-45. Taylor & Francis, 2010, ISBN 978-1-317-49565-9, S. 4, 5, 332.
- Bryan Clough: State Secrets - The Kent-Wolkoff Affair. Hideaway Publications, 2005, ISBN 978-0-9525477-3-0, S. 27, 29, 107, 108, 109, 110, 111.
- Deanna Spingola: The Ruling Elite - Death, Destruction, and Domination. Trafford Publishing, 2014, ISBN 978-1-4907-3474-3, S. 256.
- Susanna De Vries: Royal Mistresses of the House of Hanover-Windsor - Secrets, Scandals and Betrayals. Port Campbell, 2014, ISBN 978-1-74298-269-4, Kapitel 2.
- William Stevenson: A Man Called Intrepid -The Incredible True Story of the Master Spy Who Helped Win World War II. Skyhorse Publishing, 2013, ISBN 978-1-62914-360-6, Teil 1, Kapitel 14.
- Tim Tate: Hitler's British Traitors - The Secret History of Spies, Saboteurs and Fifth Columnists. Icon Books, 2018, ISBN 978-1-78578-406-4, Kapitel 11, „The Kensington Conspiracy“.
- Alfred William Brian Simpson: In the Highest Degree Odious - Detention Without Trial in Wartime Britain. Clarendon Press, 1994, ISBN 978-0-19-825949-7, S. 148, 161.
- Paul Willetts: Rendezvous at the Russian Tea Rooms - The Spyhunter, the Fashion Designer & the Man From Moscow. Little, Brown Book Group, 2015, ISBN 978-1-4721-1986-5, Kapitel 1, 9.
- Henry Hemming: M - Maxwell Knight, MI5's Greatest Spymaster. Random House, 2017, ISBN 978-1-4090-5252-4, Kapitel 33, „Mrs Mackie; Kap. 35, „The Mystic“ Investigates“.
- Neil R Storey: Beating the Nazi Invader - Hitler’s Spies, Saboteurs and Secrets in Britain 1940. Pen & Sword Books, 2021, ISBN 978-1-5267-7295-4, Anhang 2, „Maxwell Knight's Account of the ´Wolkoff-Kent Case´“.
- Henry Hemming: Agent M - The Lives and Spies of MI5's Maxwell Knight. PublicAffairs, 2017, ISBN 978-1-61039-685-1, Kapitel 37, „A Letter To An Old Friend“.
- William Stevenson: Spymistress - The True Story of the Greatest Female Secret Agent of World War II. Skyhorse Publishing, 2011, ISBN 978-1-62872-186-7, Kapitel 14, „The Phony War Ends“.