Anfänge der lateinamerikanischen Literatur

Bei den Anfängen der lateinamerikanischen Literatur muss unterschieden werden zwischen der verschriftlichen Überlieferung der Ureinwohner (Indios) und der Literatur der Konquistadoren und Kolonisten, wobei hier auch die Schriften berücksichtigt werden, die in Europa gedruckt, verlegt und teilweise auch erst dort verfasst wurden, sich jedoch auf Vorkommnisse in Lateinamerika beziehen. Die Literatur der Konquistadoren und Kolonisten entwickelte sich zunächst in den Vizekönigreichen Neuspanien (Mexiko) und Neukastilien (Peru), später auch im 1717/1739 gegründeten Vizekönigreich Neugranada (Kolumbien, Venezuela) und im 1776 von Peru getrennten Vizekönigreich des Río de la Plata sowie in Zentralamerika und Brasilien. Die literarische Produktion in den Randgebieten wie Venezuela, Chile oder Paraguay blieb gegenüber derjenigen der höfischen Gesellschaft Neuspaniens und Neukastiliens, die auf den Trümmern der Hochkulturen der Azteken bzw. Inkas errichtet wurden, zunächst weit zurück.

Abgrenzung

Der Begriff Lateinamerika (statt: Iberoamerika) wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts geläufig.[1] Wenn man von den Anfängen einer lateinamerikanischen Literatur spricht, handelt es sich also um eine Projektion eines relativ modernen Begriffs in die Vergangenheit. In dieser Begriffsbildung (die den Terminus iberoamerikanisch ersetzte) kam der Versuch zum Ausdruck, sich nicht nur gegenüber dem angelsächsischen Nordamerika abzugrenzen, sondern auch von den Kolonialmächten Spanien und Portugal zu emanzipieren und im Geiste einer vagen „Latinität“ an das moderne Vorbild Frankreichs anzuknüpfen.[2] Diese durchaus unter dem Einfluss französischer Interessen betriebene Begriffsbildung schloss paradoxerweise die französischsprachigen Gebiete Amerikas wie Haiti, Québec usw. aus. Auch hatten sich portugiesischsprachige und spanischsprachige Autoren Lateinamerikas bis in die 1960er Jahre wenig zu sagen. Dennoch sind die historischen Kontexte beider Literaturen ähnlich und war der Austausch durch reisende und exilierte Schriftsteller innerhalb des spanischsprachigen Raums so intensiv, dass man von lateinamerikanischen Nationalliteraturen erst etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts sprechen kann. Danach gab es nur noch eine einzige wirklich kontinentübergreifende Strömung, den Modernismo zu Beginn des 20. Jahrhunderts, während sich allerdings die Traditionen und Besonderheiten der sechs Großräume auch jenseits von Staatsgrenzen immer wieder Geltung verschafften.[3]

Eine länderbezogene Unterscheidung in der frühen Literaturgeschichte kann also auf die Zeit nach Bildung der zwanzig Staaten verschoben werden, deren endgültige Grenzen teils erst im frühen 20. Jahrhundert festgelegt wurden. Lediglich eine eindeutig Abgrenzung zum Norden hin kann vorgenommen werden, womit als geografischer Raum das Gebiet von Mexiko bis Feuerland gilt – einschließlich der karibischen Inseln.

Letztlich ist auch der Sprachraum kein eindeutiges Kriterium. So besaßen die Ureinwohner vielfältige Sprachen, von denen sich bis in die Neuzeit hauptsächlich Nahuatl, welches in geringerem Umfang auch im Südwesten der USA gesprochen wird, sowie Quiché und Guaraní überliefert haben.[4] Zudem stammten die europäischen Konquistadoren aus allen möglichen Ländern, führten aber größtenteils das Spanisch als gemeinsame Sprache ein, mit Ausnahme von Portugiesisch in Brasilien und Französisch in Französisch-Guayana und Haiti. Die zunehmende Verbreitung des Spanischen im Südwesten der USA führt außerdem dazu, dass dort auch spanischsprachige Literatur bekannt wird; umgekehrt schreiben lateinamerikanische und karibische Autoren in spanischer Sprache auch im Exil in den USA.

Literatur der Indios

Ursprünge

Als ältester Beleg für die Darstellung von Bild und Schrift gelten die zwischen 800 und 500 v. Chr. entstandenen sog. Glyphen. Den Anfang machten die Olmeken von La Venta (im heutigen mexikanischen Bundesstaat Tabasco), die ihre Zeichen in Stelen ritzen. Deren Bedeutung ist bislang nicht geklärt. Die nächsten Überlieferungen stammen aus der Zeit um 600 oder 500 v. Chr. aus Monte Albán in Oaxaca in Form von Darstellungen von Tänzergruppen mit Glyphen und vermutlich erste Kalenderzeichen.

In die Zeit zwischen 300 und 900 n. Chr. werden steinerne Inschriften der Maya datiert. Es gibt unter anderem Funde aus Palenque und Yaxchilán (beide im heutigen Chiapas) und Tikal in Guatemala. diese gelten inzwischen als lesbar bzw. deutbar.

Im 16. Jahrhundert ließ Diego de Landa auf dem Marktplatz von Mani Tausende von Manuskripten der Maya verbrennen. Es blieben lediglich vier davon übrig:

Erst später und nach mündlichen Überlieferungen wurden die Schöpfungs- und Reichsgeschichte der Quiché-Maya Popol Vuh sowie die untereinander eng verwandten Dorfchroniken der Bücher des Chilam Balam transkribiert und noch später ins Spanische übersetzt.

Zudem gibt es zahlreiche Sammlungen aztekischer Literatur, die ebenfalls erst später zusammengestellt wurden. So zeichnete Bernardino de Sahagún die von ihm erfragten Aussagen indianischer Spezialisten in einem enzyklopädischen zwölfbändigen Werk Historia general de las cosas de la Nueva España auf, dessen Endfassung von 1585 stammt.

Azteken

Codex Florentinus, Text in latinisiertem Nahuatl

In der aztekischen Literatur (Nahuatl-Literatur) gibt es verschiedene epische Formen:

  • tlatolli = Prosa, mit den Unterformen:
    • huehuetlatolli = Reden und Ermahnungen der Alten
    • toetlatolli = Göttergeschichten (Codex Matritensis)
    • itolloca = Chroniken (Anales de Tlatelolco, 1528; Codex Ramírez)
  • cuícatl = Gesang und Poesie, mit den Unterformen:
    • teocuícatl = Hymnen an die Götter (Codex Florentino)
    • tepanazcuícatl = von Musik begleitete Gedichte
    • yaocuícatl = Kriegsgesänge
    • xopancuícatl = Frühlingsgesänge
    • icnocuícatl = über die Vergänglichkeit des Daseins (Annalen von Cuauhtitlán, 1558)

Weitere Informationen siehe: Aztekencodices

Inkas

In der Frühgeschichte der Inkas gab es keine Schriftsprache, sondern lediglich eine mündliche Weitergabe der sog. Quipucamuyus (Geschichtenerzähler). Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden diese Geschichten niedergeschrieben.[5] Dabei haben sich folgende Gattungen herausgearbeitet:

  • jailli = Hymnen und Gebetslieder
  • atiy jaillili oder jaich'a = Heldengesänge
  • arawi = Gedichte
  • wawaki = Dialoggedichte mit erotischem Inhalt
  • wayñu und qháshwa = Tanzlieder
  • wanka = Klagelieder
  • aranway = Humoristische Dichtung und Tierfabeln

Hinzu kommt noch eine eigene Form des Theaters, von denen Nicolás de Martínez Arzanz y Vela in seinem Werk Historia de la villa imperial de Potosí erzählt. Nur wenige Stücke sind überliefert, so u. a. die Tragödie vom Ende Atawallpas (1871 aufgezeichnet) und Ollantay (Aufzeichnung aus dem 18. Jahrhundert).

Andere Indiovölker

Aufzeichnungen und/oder Sammlungen von früher Literatur anderer Indiovölker fehlen fast vollständig, lediglich ein paar Mythen und Hymnen der Guaraní aus dem heutigen Paraguay sind überliefert.

Chroniken

Ein Teil der Geschichtswerke der Indios, die nach den Feldzügen der Konquistadoren geschrieben wurden, waren bereits christlich eingefärbt. So wird z. B. in der Historia chichimeca von Fernando de Alva Ixtlilxóchitl (Urenkel des letzten Herrschers von Texcoco) von einer indianischen Sintflut gesprochen. Anders hingegen die Werke von Hernando de Alvarado Tezozómoc (Crónica Mexicayotl, Crónica Mexicana), die in Nahuatl und Spanisch abgefasst wurden.

Literatur der Konquistadoren und Kolonisten

Am 3. August 1492 machte Christoph Kolumbus den ersten Eintrag im Bordbuch der Santa Maria, als er von Palos de la Frontera aus in See stach, um einen Seeweg nach Indien zu finden. Dieses Datum markiert einen wichtigen Punkt in der Geschichte der lateinamerikanischen Literatur. Nach zwei weiteren Reisen wurde Kolumbus der Unterschlagung von Gold verdächtigt und 1499 in Ketten gelegt nach Spanien geschickt, wo er Libro de las profecías schrieb.

Die Entdeckung und Besetzung bzw. Kolonialisierung weiterer Gebiete in Mittel- und Südamerika schritt immer schneller voran und die Konquistadoren gingen dabei größtenteils sehr brutal und grausam gegen die Indios vor. Dies berichtete auch Hernán Cortés in seinen unter dem Titel Cartas de relación zusammengefassten fünf Briefen an den spanischen König Karl V., die zwischen dem 10. Juli 1519 und 1526 entstanden. Er klagt dabei einige andere Konquistadoren an, schien jedoch nur von Vorwürfen gegen sein eigenes Vorgehen ablenken zu wollen.

Chroniken

In die Zeit von Cortés fällt auch die Entstehung von De Orbe Novo Decadas (1494–1526) des italienischen Humanisten Pedro Mártir de Anglería, der jedoch nie selber in Lateinamerika war. Ebenso wie Francisco López de Gómara, der mit seiner Historia de la conquista de México (1552) versuchte, der entstandenen Kritik an Hernán Cortés entgegenzuwirken.

Brevísima relación de la destrucción de las Indias (1552) von Bartolomé de Las Casas (1484–1566).

Mit der Historia verdadera de la conquista de la Nueva España von Bernal Díaz del Castillo erschien um 1568 das erste Werk eines an den Eroberungszügen beteiligten Soldaten. Noch kritischer gegenüber der Vorgehensweise der Feldherren war Fray Bartolomé de Las Casas in seinem Werk Brevísima relación de la destrucción de las Indias (Sevilla 1552) (dt. Kurz gefasster Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder, 1790).

Weitere Chroniken:

Epik und Lyrik

Die Entwicklung der Lyrik und Epik in den neuen Kolonien, die mittlerweile als Vizekönigreiche geführt wurden, war noch stark von europäischen Strömungen beeinflusst. So richtete sich die Sammlung von Gedichten Flores de baria poesía (1577) nach dem Petrarkismus, einer gelehrten Dichtung. Die Autoren der Sammlung waren nur zum Teil „Neu-Spanier“, wie z. B. Gutierre de Cetina und Juan de la Cueva.

Wesentlich stärker dem neuen Land verhaftet war La grandeza mexicana (1604, dt. „Die mexikanische Größe“) von Bernardo de Balbuena (1562?–1627), der bereits als Kleinkind nach Mexiko kam. Er beschreibt darin in Form eines Briefs dieses neue Land. Sein zweites Werk El Siglo de Oro en las selvas de Erífile (1608, dt. „Das Goldene Zeitalter in den Wäldern von Erífile“) zählt zur Gattung der Schäferromane. Und mit El Bernardo o Victoria de Roncesvalles (1624) bediente er sich bei den europäischen Rolandsepen.

Weitere Werke:

  • Antonio de Saavedra Guzmán: El peregrino indiano (1599)
  • Silvestre de Balboa Troya: Espejo de paciencia (ca. 1608)
  • Hernán González de Eslava: Coloquios espirituales y sacramentales y canciones divinas (1610), Sammlung von Dramen und Lyrik
  • Arias de Villalobos: Obediencia que México dio a Felipe IV.

Chroniken

Der früheste Text der Konquistadoren im südlichen Amerika war Verdadera relación de la conquista del Perú (Sevilla, 1534) von Francisco de Xerez. In diesem Werk wird die Eroberung noch als Befreiung der Indios von der Tyrannei der Inkas dargestellt und der Feldherr Francisco Pizarro als Freund der Indios. Ähnlich positiv äußert sich Agustín de Zárate in seiner siebenbändigen Chronik Historia del descubrimiento y conquista del Perú (1553).

Aber es gab auch Chronisten, die sich wesentlich kritischer mit der Vorgehensweise der Eroberer auseinandersetzten und fanden sogar Bewunderung für das untergegangene Inka-Reich. Den Anfang machte Juan de Betanzos mit Suma y narración de los Incas (ca. 1551 / Erstdruck 1880). Eine herausragende Position nahm das vierbändige La crónica del Perú (1552) von Pedro de Cieza de León ein, das sich mit der Geschichte der Inkas beschäftigt und bis zur Herrschaft des Vizekönigs Antonio de Mendoza 1551 reicht.

Von 1569 bis 1581 regierte der Vizekönig Francisco de Toledo, der erneut hart gegen die Inkas vorging und sich seine eigenen Chronisten heranzog. Zu dieser Zeit begann José de Acosta mit seiner Historia natural e moral de las Indias, die erst 1590 fertiggestellt wurde. Die Meinung, dass es christliche Aufgabe der Spanier war, die Indios zu bekehren, verstärkte sich, die Ablehnung von Menschenopfern, Polygamie und Inzest wurde lauter, so u. a. in Gobierno del Perú (1567, dt. die Regierungsform von Peru) von Juan de Matienzos und Historia de los incas (um 1580) von Pedro Sarmiento de Gamboa. Als Gegenentwurf erschien 1578 Bericht über die früheren Gebräuche der Eingeborenen von einem Autor, der sich „Anonymer Jesuit“ nannte. Hierin wurde der Vorwurf erhoben, dass viele Schauergeschichten nur wegen mangelnder Quechua-Kenntnisse der Spanier in Umlauf gebracht wurden.

Chroniken

Im restlichen Südamerika gab es keine so hochentwickelte Zivilisation wie bei den Inkas. Das Gebiet wurde erst in den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts erobert, worüber die Crónica y relación copiosa y verdadera de los reinos de Chile[6] (1558, Erstdruck erst 1966) des Gerónimo de Vivar berichtete.

Aus Neu-Granada (heutiges Kolumbien) stammten die verlorengegangenen Werke El gran cuaderno und Los ratos de Suesca von Gonzalo Ximénez de Quesada, sowie die Kurzchronik Epítome de la conquista del Nuevo Reino de Granada (ca. 1550). Fray Gaspar de Carvajal erzählt in Relación del nuevo descubrimiento del famoso río grande de los Amazonas vom Amazonasgebiet und Francisco Vàsquez in Relación de todo lo que sucedió en la jornado de Amagua y Dorado (1562) u. a. von dem Konquistador Lope de Aguirre, der sich von der spanischen Königsmacht lossagte.

In einem Mammutwerk von über 150.000 Versen berichtet Juan de Castellanos in Elegías de varones ilustres de Indias (1589) über die Eroberung der Karibik, von Kolumbien und von Venezuela und bediente sich dabei der epischen Form, wobei die Spanier in seinen Darstellungen wesentlich positiver und harmloser gezeichnet werden als die Indios.[7]

Epik

Das eindrucksvollste Werk, das epischen Stil mit historischer Authentizität verknüpfte, was das mehrbändige La Araucana von Alonso de Ercilla (1533–1594), der 1557 selber an den Kämpfen gegen die Araukaner teilnahm. Der erste Teil erschien 1568/69, der zweite 1578 und der letzte 1589. In seinem Epos stellt er die Spanier immer wieder als grausam dar, so im zweiten Teil:

„Die Unseren, bis zu diesem Augenblick Christen, überschritten nun die Grenzen des Erlaubten und beschmutzen den großen Sieg durch grausame Waffentat und unmenschliche Handlung. So sträubt mein Geist und meine Feder sich, das große Gemetzel zu beschreiben, das an diesem Tag angerichtet wurd' unter den Verteid’gern ihres Landes“[8]

Hingegen werden die Araukaner zwar als heldenhaft, aber auch als Verräter und Barbaren charakterisiert.

An der Stelle, an der La Araucana endet, nämlich bei dem Amtsantritt von García Hurtado de Mendoza als Vizekönig von Peru (1589), begann das Arauco domado (1596) von Pedro de Oña. Hier wird ein wesentlich günstigeres Bild der Spanier gezeichnet, aber immer wieder auch romantische Liebesgeschichte den Indios eingeflochten, fern jener früheren Vorwürfe der sexuellen Abartigkeiten wie Sodomie und Inzest.

Aus einer anderen Region, nämlich Neu-Granada (= Kolumbien), stammte Juan Rodríguez Freyle, der 1638 El carnero veröffentlichte und in zahlreichen Anekdoten und Liebesgeschichten die letzten 100 Jahre dieser Kolonie erzählt.

Zwei Reiseberichte stellen die Gegenden abseits der beiden Vize-Königreiche sehr unterschiedlich dar: zum einen Descripción del Peru, Tucumán, Río de la Plata y Chile (1607) von Reginaldo de Lizárraga, der keine guten Worte für die Indios findet; zum anderen A través de la América del Sur (1599–1608) von Guadalupe Diego de Ocaña, der in z. T. sehr dramatischer Weise von seiner Reise berichtet.

Für den argentinischen Raum stehen das in 28 Gesängen verfasste Gedicht Argentina y conquista del Río de la Plata (1602) von Martín del Barco Centeneras und die Prosachronik La Argentina (1612) von Ruy Díaz de Guzmán.

Weitere Werke:

  • Juan de Miramontes y Zuázela: Armas antárcticas (ca. 1610 / Erstdruck 1921)
  • Diego de Hojeda: Cristida (1611)
  • Diego Dávalos y Figueroa: Miscelánea austral (1603)

Die portugiesische Kolonie Brasilien

Noch bevor überhaupt die geographische Größe des Gebiets bekannt war, schrieb Pero Vaz de Caminha am 1. Mai 1500 einen Brief (Carta, veröffentlicht 1817) an den portugiesischen König, in dem er über die Entdeckung dieses Landes berichtet. Doch das Herrschaftshaus war nicht sonderlich an den neuen Besitztümer interessiert, so wurde erst 1530 eine größere Expedition entlang der Küste gestartet, die Pero Lopes de Sousa in Diário de Navegação (veröffentlicht 1839) dokumentierte.

Erst nach einer Verwaltungsreform und der verstärkten Christianisierung durch den Jesuitenorden kam es zu einer ansteigenden Kolonialisierung. Daher stammten die meisten damals erschienenen Schriften aus den Federn von Mitgliedern der Gesellschaft Jesu. Einer der ersten war Manuel da Nobrega um 1557 mit Diálogo sobre a Conversão do Gentio. Ein bedeutender Autor wurde der aus Teneriffa stammende Jesuitenpater José de Anchieta (1534–1597). Von ihm stammen die lateinischen Dichtungen De Beata Virgine Dei Matre Maria (1563), De gestis Mendi de Saa (1563), der ersten Grammatik einer Indianersprache Arte de Gramática da Língua mais usada na Costa do Brasil (1595) und das Drama Auto na Festa de São Lourenço (Uraufführung 1583, veröffentlicht 1948).

Weitere Werke sind:

  • Pero Magalhães Gândavo: História da Província de Santa Cruz a que vulgarmente chamammos Brasil (1576)
  • Gabriel Soares de Sousa: Tratado descritivo do Brasil (1587)
  • Ambrósio Fernandes Brandão: Diálogos das Grandezas do Brasil (1618)
  • Frei Vicente do Salvador: História do Brasil (1627, veröffentlicht 1889)

Der Beginn des 17. Jahrhunderts

Im 16. und 17. Jahrhundert ereignete sich in Lateinamerika die größte demographische Katastrophe der Menschheitsgeschichte ereignet. In den ersten 100 Jahren nach der Ankunft der Spanier kamen innerhalb von 150 Jahren je nach Schätzung etwa 35 bis 40 Millionen Indigene, das waren etwa 90 Prozent der Bevölkerung, ums Leben – vor allem durch Epidemien (Pocken, Pest, Typhus, Grippe oder Masern). aber auch durch Hunger, Versklavung und Zwangsarbeit. Das Ausmaß, die Geschwindigkeit und die Dauer des Rückgangs der autochthonen Bevölkerung nach 1492 stellten die katastrophalen Epidemien, die das mittelalterliche und neuzeitliche Europa trafen, weit in den Schatten. Diese demographische Katastrophe war eine Grundbedingung für die Entwicklung der Kolonialgesellschaften in Amerika und führte zur Verschleppung afrikanischer Sklaven nach Lateinamerika.[9] Andererseits verfügten Indigene über den Rechtsstatus von Minderjährigen, besaßen also im Gegensatz zu vielen europäischen Leibeigenen die persönliche Freiheit. Indigene Adlige wurden in rechtlicher Hinsicht sogar den spanischen Adligen gleichgestellt, da die Durchsetzung der europäischen Herrschaft nur unter Einbeziehung der indigenen Eliten erfolgen konnte. So verbreiteten sich führende indigene Sprachen wie Quechua und Nahuatl als allgemeine Verkehrssprache im ländlichen Raum weiter. Dies wurde durch die Christianisierung noch gefördert, da die europäischen Missionare zumeist eine oder zwei indigene Sprachen erlernten.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelte sich in Mexiko-Stadt, Lima und São Salvador da Bahia ein städtisches Leben, das dem in den europäischen Zentren annähernd vergleichbar war, doch blieb die Literaturproduktion und -rezeption auf eine kleine Oberschicht beschränkt. Aus wirtschaftlichen Gründen bestand in den spanischen Kolonien zunächst ein Einfuhr- und Druckverbot für Romane (in Brasilien gab es bis ins 19. Jahrhundert gar keine Druckereien), was zur Verbreitung von Epen und Chroniken beitrug. Eine allmähliche „Literarisierung“ der Chroniken setzte zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein.

Auch entstanden in dieser Zeit Villancicos, oft zweisprachige festliche Chorgesänge (z. B. Spanisch-Kichwa, Spanisch-Nahuatl, Portugiesisch-Afrobrasilianisch), die sowohl Ausdruck der Frömmigkeit als auch der sozialen Spannungen waren. Oft wurde in ihnen die Ungerechtigkeit und Scheinheiligkeit der Eroberer, gelegentlich auch die Lage der schwarzen Sklaven beklagt. Diese Kunstform wurde bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts gepflegt.

Die Blüte der Kolonialliteratur im Zeitalter des Barocks

Auch während des Barocks von der Mitte des 17. bis Mitte des 18. Jahrhunderts stand die lateinamerikanische Literatur stark unter spanischem und portugiesischem Einfluss. Zwar wurden diese Einflüsse nur mit zeitlicher Verzögerung rezipiert und die kolonialen Themen traten deutlicher hervor, doch anders als in der Architektur folgte die Literatur weitestgehend spanischen bzw. portugiesischen Vorbildern und Normen. Daher müsse man „korrekterweise eher von einer spanischen beziehungsweise portugiesischen Barockliteratur in Lateinamerika als von einer eigenen lateinamerikanischen Barockliteratur sprechen“.[10] Die barocke Kulturblüte ging einher mit dem Auf- und Ausbau der großen Städte, die ein neues Publikum brachten, und der Entwicklung einer eigenen kreolischen Identität. Bücher wurden nicht mehr größtenteils für das und im Mutterland geschrieben und/oder veröffentlicht, mit Ausnahme von Brasilien, wo bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Druckereien verboten waren. Dort entwickelte sich eine Barockliteratur erst im 18. Jahrhundert. Das Jesuitentheater spielte hier eine geringere Rolle, während es in Mexiko zur Blüte gelangte, z. B. in Form von Fronleichnamsspielen. Das Theater im Lima des 18. Jahrhunderts war vom Einfluss Calderons geprägt.

Las Soledades. Titelblatt

Als Beleg für die zeitliche Verzögerung der Rezeption barocker Literatur auch in Hispanoamerika sei der Kultismus (Kulteranismus) eines Luis de Góngora genannt (Las soledades 1636, Fábula de Polifermo y Galatea 1627), dessen manierierter latinisierter Stil hier wie auch in Brasilien viele Anhänger und Nachahmer fand, während er in Spanien bereits vom Klassizismus abgelöst war.[11]

Gegen Ende dieses Zeitraums – in den spanischen Kolonien nach 1765, in Brasilien schon seit 1757/58[12] – machten sich im Zuge der kolonialen Reformpolitik Einflüsse der europäischen Aufklärung in Lateinamerika geltend. Jedoch blieb ihre Wirkung in dem von der katholischen Kirche einheitlich geprägten Subkontinent nicht nur aufgrund der Dominanz der scholastisch-metaphasischen Philosophie, sondern vor allem auch angesichts der zahlenmäßig schmalen bürgerlichen Schicht zunächst gering. Die dichte Kontrolle insbesondere durch die spanische Krone, die Zensur und das Druckverbot verhinderten den Einfluss modernerer literarischer und philosophischer Strömungen nicht nur aus Europa, sondern selbst aus dem spanischen Mutterland. So waren die Werke Kants verboten; sie standen auf dem päpstlichen Index, wurden aber gelegentlich nach Lateinamerika geschmuggelt.[13] Erst 1778/1787 wurde der Schiffsverkehr in die Kolonien liberalisiert. Doch dauerte die Bevormundung durch den hohen spanischen Klerus und spanische Beamte an, die die Entwicklung einer eigenständiger kreolischen Literatur verhinderte. Der niedere Klerus schlug sich jedoch häufig auf die Seite der antikolonialen Bewegungen.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelten sich neben Mexiko und Lima weitere regionale intellektuelle Zentren, so vor allem Buenos Aires infolge des raschen Aufstiegs des 1776 von Peru abgetrennten Vizekönigreichs La Plata, das gute Verbindungen nach Europa besaß. Langsamer verlief die Entwicklung der Alphabetisierung und des literarischen Lebens im 1739 neu gebildeten Vizekönigreich Neugranada, noch langsamer in den zentralamerikanischen Kolonien.

Vizekönigreich Neuspanien / Mexiko

Vizekönigreich Peru

Vizekönigreich Neugranada (seit 1739)

Vizekönigreich des Río de la Plata (seit 1776)

Kuba

Brasilien

Einzelnachweise

  1. Walter Mignolo: The Idea of Latin America. Wiley-Blackwell, Oxford 2005, ISBN 978-1-4051-0086-1, darin das Kapitel „Latin“ America and the First Reordering of the Modern/Colonial World, S. 51–94.
  2. César Fernández Moreno: ¿Que es la América latina? In: Ders. (Hrsg.): América latina en su cultura. Siglo Veintiuno Editores, Mexiko-Stadt 1972, S. 5–18, hier S. 9.
  3. Michael Rössner (Hrsg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 2. Aufl. 2002, Vorwort, S. VII f.
  4. César Fernández Moreno: ¿Que es la América latina? In: Ders. (Hrsg.): América latina en su cultura. Siglo Veintiuno Editores, Mexiko-Stadt 1972, S. 5–18, hier S. 8.
  5. Sabine Dedenbach-Salazar Sáenz: Die Stimmen von Huarochirí. Indianische Quechua-Überlieferungen aus der Kolonialzeit zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Eine Analyse ihres Diskurses. Bonner Amerikanistische Studien, Band 39, Aachen, 2007.
  6. Gerónimo de Vivar: Crónica y relación copiosa y verdadera de los reinos de Chile 1558. In: Fondo Histórico y Bibliográfico José Toribio Medina. Band 2. Instituto Geográfico Militar, Santiago de Chile 1966 (memoriachilena.cl).
  7. Michael Rössner (Hrsg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 2. Aufl. 2002, S. 50 f.
  8. Michael Rössner (Hrsg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Aufl., 2007, S. 44
  9. Stefan Rinke: Demografische Katastrophe. In: Friedrich Jaeger (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit. Springer Verlag, 2005, Bd. 2, S. 895–899.
  10. Michael Rössner u. a.: Die Blüte der Kolonialliteratur (1640–1750). In: Michael Rössner (Hrsg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Aufl. Stuttgart 2007, S. 61.
  11. Michael Rössner (Hrsg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 2. Aufl. 2002, S. 61 ff.
  12. Manoel Ribeiro Rocha erhielt 1757 in Lissabon die Druckerlaubnis für sein die Sklavenhaltung kritisierendes Buch Etíope resgatado, empenhado, sustentado, corrigido, instruído, e libertado. 1758 wurden die brasilianischen Indigenen de jure rechtlich gleichgestellt. Siehe Rocha, Manoel Ribeiro (1687–1745), in: Encyclopedia of Latin American History and Culture, 2008.
  13. Heinz Krumpel: Aufklärung und Romantik in Lateinamerika: ein Beitrag zu Identität, Vergleich und Wechselwirkung zwischen lateinamerikanischem und europäischem Denken. Peter Lang, 2004, S. 15 ff.

Literatur

  • César Fernández Moreno (Hrsg.): América latina en su cultura. Siglo Veintiuno Editores, Mexiko-Stadt 1972, ISBN 92-3-301025-2.
  • Michael Rössner (Hrsg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Aufl. Metzler Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-02224-0.
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