András Schiff
Sir András Schiff [21. Dezember 1953 in Budapest) ist ein ungarischer Pianist, Dirigent und Musikpädagoge, der auch die österreichische und britische Staatsbürgerschaft besitzt.
] (*Leben
András Schiff wurde in eine jüdisch-bürgerliche Budapester Familie hineingeboren, in der sonntägliche Treffen mit Hausmusik zur Kultur gehörten. Die Mutter war „eine gute Klavierlehrerin“, die wegen ihres großen Lampenfiebers nicht Pianistin wurde. Der Vater, ein Gynäkologe, der „Geige als Amateur“ spielte, starb bereits 1961. Für beide Eltern war es die zweite Ehe. Der erste Mann der Mutter und die erste Frau des Vaters waren in NS-Lagern ermordet worden. Schiff wuchs als Einzelkind auf.[2]
Schiff, ein Zeitgenosse von Zoltán Kocsis und Dezső Ránki, begann mit fünf Jahren Klavier zu spielen. Er lernte zunächst bei Elisabeth Vadász und nahm mit 14 Jahren sein Studium an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest auf, unter anderem bei Ferenc Rados, Pál Kadosa und György Kurtág. Er verbrachte mehrfach seine Sommerferien in England bei Verwandten. Dort schloss er Freundschaft mit dem rund 40 Jahre älteren Dirigenten und Cembalisten George Malcolm, mit dem er zusammen musizierte und der in ihm Verständnis für die Musik Bachs weckte. Schiff erhielt 1987 die österreichische Staatsbürgerschaft und 2001 die britische Staatsbürgerschaft. 2014 wurde er geadelt und in den englischen Ritterstand erhoben („Knight Bachelor“ mit dem Prädikat „Sir“).[3]
Schiff tritt international auf, sowohl als Solist als auch zusammen mit bekannten Orchestern, beispielsweise dem Chicago Symphony Orchestra, den Wiener Philharmonikern und den Berliner Philharmonikern. Schiff ist seit 1999 Gründer und Dirigent des international auftretenden Kammerorchesters Cappella Andrea Barca.
Von 1989 bis 1998 leitete Schiff das Mondsee-Festival in der Nähe von Salzburg. Gemeinsam mit Heinz Holliger gründete er 1995 die „Ittinger Pfingstkonzerte“ in der Kartause Ittingen.
Im Jahr 2000 sagte Schiff seine Teilnahme bei der Schubertiade in Feldkirch ab und drückte so seinen Protest gegen die Beteiligung der rechtsgerichteten FPÖ an der österreichischen Bundesregierung aus.[4] Gegen das ungarische Mediengesetz und die Einmischung der Politik in die Kultur unter der Orbán-Regierung verfasste Schiff im Januar 2011 mit mehreren Künstlern eine Resolution. In Interviews teilte er mit, dass er nicht mehr in Ungarn konzertieren werde, weil er dort Persona non grata sei[5] und er von antisemitischer Hetze persönlich bedroht werde.[6][7] Er sei „sehr verärgert“ über Ungarn und ärgere sich auch über das Verhalten der jüdischen Gemeinde in Ungarn, die nicht öffentlich gegen diese Entwicklungen Stellung beziehe.[8]
Zum Bruch mit seinem Heimatland befragt, bekannte er im Juni 2022: „Es schmerzt, immer mehr.“ Er sei 2010 zum letzten Mal in Ungarn gewesen, anlässlich der Beerdigung seiner Mutter. Seine Heimatstadt fehle ihm, obwohl er mit Freunden regelmäßig Ungarisch spreche und auch die zeitgenössische Literatur lese. Es sei „unwahrscheinlich, dass sich zu meinen Lebzeiten noch einmal etwas grundlegend ändert“.[9]
Schiff ist mit der Violinistin Yuuko Shiokawa verheiratet. Er hat Wohnsitze in London, Florenz und Basel.[10][11] Neben seiner Muttersprache Ungarisch spricht Schiff auf praktisch muttersprachlichem Niveau Deutsch und Englisch.[12][13][14][15]
Auszeichnungen – Preise
- 1974 Tschaikowski-Wettbewerb (Moskau) 4. Platz
- 1975 Klavier-Wettbewerb in Leeds (Finalist)
- 1991 Bartók-Preis
- 1994 Claudio-Arrau-Medaille der Robert-Schumann-Gesellschaft Düsseldorf
- 1996 Kossuth-Preis
- 1997 Léonie-Sonning-Musikpreis
- 2003 Bremer Musikfest-Preis
- 2006 Ehrenmitglied des Beethoven-Hauses Bonn
- 2009 Ehrenpreis des Klavierfestivals Ruhr
- 2011 Robert-Schumann-Preis (Zwickau)[16]
- 2011 Orden Pour le Mérite[17]
- 2013 Goldmedaille der Royal Philharmonic Society
- 2014 Knight Bachelor mit dem Titel "Sir"
- 2022 Bach-Medaille der Stadt Leipzig
Repertoire
Schiff, der als einer der besten und vielseitigsten Pianisten der Gegenwart gilt, ist ein renommierter Interpret der Musik von Mozart, Beethoven, Schubert, Robert Schumann (etwa Kreisleriana) und besonders des Klavierwerks seines Landsmannes Béla Bartók. Daneben widmet er sich intensiv dem Werk von Johann Sebastian Bach, den er für „den größten Komponisten, der je gelebt hat“ und „den Besten von uns“ hält,[12][14] wobei er nicht der strengen historischen Aufführungspraxis folgt, sondern die Musik Bachs üblicherweise auf modernen Flügeln verschiedener Bauart (Bösendorfer, Steinway) darbietet. 2019 äußerte er sich bei Meisterkursen der Schubertiade öffentlich über die Eignung von Instrumenten der Marken Steinway & Sons bzw. Bösendorfer zur Interpretation von Musik des frühen 19. Jahrhunderts.
Aufnahmen und Veröffentlichungen
Von Schiff liegen Einspielungen sämtlicher Sonaten von Mozart, Beethoven und Schubert sowie der Klavierkonzerte Mozarts vor, außerdem der meisten großen Solo-Klavierwerke Johann Sebastian Bachs. Zusammen mit Peter Schreier hat er Lieder von Beethoven, Schubert und Schumann aufgenommen, mit Robert Holl Lieder von Brahms und Schumann. Er musizierte 1991 und 1992 mit Dietrich Fischer-Dieskau Schuberts Die schöne Müllerin, bei TDK ist eine DVD-Aufnahme des denkwürdigen Konzertes von der Schubertiade in Feldkirch 1991 erschienen. Im Henle-Verlag erschienen Werke von Bach, Mozart und anderen Komponisten mit Fingersätzen und Hinweisen zur Aufführungspraxis von András Schiff.[18]
2002 erschien eine Doppel-CD mit Werken von Schumann beim Label ECM, basierend auf einem Livekonzert Schiffs in Zürich.[19] Warner Classics veröffentlichte 2007 eine Box mit Werken von Brahms, Händel, Haydn, Reger, Schumann und Smetana (6 CDs).[20]
Literatur
- Christoph Kammertöns: András Schiff – ein autoritativer Pianist. In: Joachim Brügge (Hrsg.): Über András Schiff und die „Goldberg-Variationen“ (= klang-reden. Schriften zur Musikalischen Rezeptions- und Interpretationsgeschichte. Band 24), Rombach Wissenschaft, Baden-Baden 2020, ISBN 978-3-96821-012-4, S. 73–87.
- Beethovens Klaviersonaten und ihre Deutung. „Für jeden Ton die Sprache finden ...“ András Schiff im Gespräch mit Martin Meyer. Verlag Beethoven-Haus Bonn / Carus-Verlag, 2007, ISBN 978-3-88188-107-4.
- Thomas Steinfeld: Gerechtigkeit für jeden Ton. Da capo al fine: András Schiffs großartige Einspielung der Goldberg-Variationen. In: Süddeutsche Zeitung, 6. Oktober 2003, S. 30.
Weblinks
- Werke von und über András Schiff im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- András Schiff bei IMDb
- Interview mit András Schiff, März 1997
- Rezension der ZEIT zu A. Schiff, Einspielung Goldberg-Variationen
- Andras Schiff: Beethoven Lecture-recitals at Wigmore Hall, London (englisch) (Memento vom 6. März 2007 im Internet Archive)
- Rezension der ZEIT zu A. Schiff, Einspielung aller 32 Beethoven-Klaviersonaten
- Ausführliches Interview mit Andras Schiff über Werk und Person Bachs (auf Deutsch) (YouTube-Video)
- FAZ-Gespräch mit András Schiff 16. Januar 2011
- Schiff im Gespräch mit Wolf-Dieter Seiffert (PDF; 657 kB)
- Interview Süddeutsche.de: Ungarn: András Schiff: Wo man Europas Werte mit Füßen tritt vom 27. April 2011 (abgerufen 23. November 2012)
- Interaktive Partituren zu Béla Bartóks Klavierwerken mit András Schiff
Einzelnachweise
- Chartquellen: DE CH
- András Schiff: Musik kommt aus der Stille. Gespräche mit Martin Meyer. Essays. Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel 2017, ISBN 978-3-7618-2287-6, S. 48–51.
- Wolfgang Wagner: Sir András Schiff zum 65. Geburtstag: Musikmeister mit Meinung. Concerti, 21. Dezember 2018, abgerufen am 27. Juni 2020.
- Informationen über Schiff (Memento vom 24. Dezember 2013 im Internet Archive) auf der Website des NDR (Abruf am 9. Dezember 2012).
- news.de: András Schiff will nicht mehr in Ungarn auftreten (Memento vom 24. Dezember 2013 im Internet Archive)
- Interview mit Alex Rühle: Wo man Europas Werte mit Füßen tritt, Süddeutsche Zeitung, 8. April 2011
- Interview mit Peter Laudenbach: Europa muss endlich Druck machen, Der Tagesspiegel, 14. Januar 2012
- אינטרמצו עם אריק - בסגנון הונגרי András Schiff -- Hungarian style. Abgerufen am 15. März 2016 (englisch, Auszug aus einem YouTube-Video, Interview mit Andras Schiff).
- Alexander Dick: „Freiheit ist keine Anarchie“. BZ-Interview: Der ungarische Pianist András Schiff reflektiert Politik und Musik im Wechselspiel. In: Badische Zeitung. 3. Juni 2022, S. 9 (badische-zeitung.de [abgerufen am 3. Juni 2022]).
- The Telegraph, 19. November 2012
- James R. Oestreich: Andras Schiff Holds Forceful Convictions in a Velvet Glove. In: New York Times. Abgerufen am 4. Dezember 2023 (englisch).
- András Schiff on the recording of Bach's „The Well-Tempered Clavier“. 12. August 2012, abgerufen am 26. Juni 2020 (englisch, YouTube-Video).
- Sir András Schiff im Gespräch mit Prof. Dr. Bernhard Appel über Robert Schumann. Schumann Forum Schumann Netzwerk (YouTube-Video), 27. Juli 2016, abgerufen am 15. März 2016.
- András Schiff explains Bach. YouTube-Video, 27. Juli 2015, abgerufen am 15. März 2016.
- 19.09.2019 An der Bar mit Sir András Schiff. 24. September 2019, abgerufen am 15. März 2016 (Gespräch mit András Schiff in der Oper Frankfurt).
- Schumann-Preis für András Schiff. In: Saarbrücker Zeitung (Kultur) vom 9. Februar 2011, S. B4
- Orden Pour le Mérite: Mitglied Sir András Schiff (Memento vom 17. November 2016 im Internet Archive)
- András Schiff / G. Henle Verlag. Abgerufen am 30. Juni 2023.
- András Schiff In Concert – Robert Schumann: 2 CDs ECM Records
- Andras Schiff – Solo Piano Music: 6 CDs jpc.de