Am deutschen Wesen mag die Welt genesen
Am deutschen Wesen mag die Welt genesen ist ein politisches Schlagwort, welches auf Emanuel Geibels Gedicht Deutschlands Beruf von 1861 zurückgeht. Geibel setzt sich darin für die Einheit Deutschlands ein und ruft die Einzelstaaten zur Einigung unter einem deutschen Kaiser, dem seit 1861 als König von Preußen regierenden Wilhelm I., auf, wie es nach den „Einigungskriegen“ schließlich 1871 auch geschah. Das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen mag, ist als das geeinte deutsche Staatswesen zu verstehen, von dem eine Friedenswirkung auf das europäische Staatengefüge ausgehen werde.[1] Das vom Gedicht abgeleitete Schlagwort Am deutschen Wesen mag die Welt genesen wurde später von der politischen Führung verwendet und umgedeutet.
Gedicht Deutschlands Beruf (1861)
Die 7 Strophen des Gedichts:[2]
Soll’s denn ewig von Gewittern |
Einen Hort geht aufzurichten, |
Wenn die heil’ge Krone wieder |
Macht und Freiheit, Recht und Sitte, |
Erklärung
Die Laun’ am Seinestrom bezieht sich auf das Zweite Kaiserreich Napoleons III. in Frankreich, während der Fischer in Rom den seit 1846 amtierenden Papst Pius IX. bezeichnet und wie der päpstliche Fischerring Bezug nimmt auf die Berufung Petri und seines Bruders Andreas zu „Menschenfischern“ (Mk 1,17 ). Der Koloß im Norden kann als das Russische Kaiserreich verstanden werden.
Politisches Schlagwort
Kaiser Wilhelm II. verwendete das Schlagwort am deutschen Wesen mag die Welt genesen zum Beispiel in seiner Rede am 31. August 1907 im Landesmuseum in Münster.[3] Versteht man Wesen unter Missachtung des geschichtlichen Kontexts als Wesen im philosophischen Sinn, kann es gegen die Intention Geibels als Aufforderung an die Welt missverstanden werden, „deutscher zu werden“. Dem entsprach die verbreitete Zuspitzung des Geibel’schen mag zu soll: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.[4] Bundespräsident Theodor Heuss erteilte dieser Interpretation 1952 eine Absage: „Es ist kein Volk besser als das andere, es gibt in jedem solche und solche. Amerika ist nicht ‚God’s own country‘, und der harmlose Emanuel Geibel hat einigen subalternen Unfug verursacht mit dem Wort, daß am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen werde.“[5]
Literatur
- Geflügelte Worte. Zitate, Sentenzen und Begriffe in ihrem geschichtlichen Zusammenhang, hg. von Kurt Böttcher u. a. Leipzig 1985, S. 501 f.
- Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker: Schlagwörter und Schlachtrufe. Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte. Leipzig, 2002, S. 279–283
Einzelnachweise
- Ulrich Roos, Deutsche Außenpolitik: Eine Rekonstruktion der grundlegenden Handlungsregeln, S. 177 Fn. 202 books.google
- Textquelle: Emanuel Geibel: Heroldsrufe. Aeltere und neuere Zeitgedichte. Stuttgart 1871, S. 116–118
- Internetportal Westfälische Geschichte Landesmuseum Münster / Festmahl für die Provinz Westfalen
- Duden – Das große Buch der Allgemeinbildung, Seite 286 books.google
- Theodor Heuss: Ansprache zur Eröffnung der Gedenkstätte Bergen-Belsen am 30. November 1952 https://www.zeit.de/reden/die_historische_rede/heuss_holocaust_200201