Alt-Rhapsodie

Die Rhapsodie für eine Altstimme, Männerchor und Orchester op. 53, gängigerweise kurz als Alt-Rhapsodie bezeichnet, ist ein Chorwerk von Johannes Brahms (1833–1897) nach einem Text von Johann Wolfgang von Goethe, das 1869 entstand.

Johannes Brahms um 1870

Entstehung

Im Februar 1869 erlebte mit der Kantate Rinaldo (Brahms op. 50) ein Werk für Solostimme, Chor und Orchester nach einem Text von Goethe seine Uraufführung. Im gleichen Jahr wählte Brahms für ein weiteres Vokalwerk erneut einen Text dieses Dichters, diesmal die Strophen 5–7 aus dessen Harzreise im Winter. Die düstere, zu Goethes schwerer zugänglichen Arbeiten zählende Textvorlage schildert mit den Eingangsworten „Aber abseits, wer ist’s?“ einen sich selbst isolierenden Einzelgänger, der sich „Menschenhaß aus der Fülle der Liebe trank“.

Es besteht weitgehende Einigkeit, dass Brahms mit dieser Komposition eine enttäuschte (aber nie klar ausgesprochene) Liebe zu Clara Schumanns Tochter Julie verarbeitete. Die Annahme speist sich unter anderem aus einem Brief von Brahms vom 28. August 1869 an den Verleger Fritz Simrock (die 24-jährige Julie Schumann hatte sich im Juli 1869 mit einem italienischen Grafen verlobt): „Hier habe ich ein Brautlied geschrieben für die Schumannsche Gräfin – aber mit Ingrimm schreibe ich derlei – mit Zorn! Wie soll’s da werden!“[1] Den ungewöhnlichen Titel „Rhapsodie“ für ein orchesterbegleitetes Chorwerk entlehnte Brahms dem Titel eines Klavierlieds von Johann Friedrich Reichardt über einen teilweise gleichen Textausschnitt.

Die Uraufführung erfolgte am 3. März 1870 in Jena mit dem Akademischen Gesangverein der Universität Jena unter Ernst Naumann und der Solistin Pauline Viardot-García.[2] Vorausgegangen war eine Probeaufführung im Spätherbst 1869 in Karlsruhe. Der Brahms’sche Freundeskreis, darunter Clara Schumann und Theodor Billroth, zeigte sich beeindruckt und ergriffen von der Komposition, die in den folgenden Jahren besonders durch die Sängerin Amalie Joachim, der Frau Joseph Joachims, bekannt gemacht wurde.

Der Erstdruck erschien 1870 als op. 53 im Verlag N. Simrock, Berlin.[3]

Werkbeschreibung

Besetzung und Aufführungsdauer

Die Alt-Rhapsodie ist für Altsolo, 4-stimmigen Männerchor (Tenor I/II, Bass I/II) und Orchester gesetzt. Die Orchesterbesetzung umfasst 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner und Streicher.

Die Aufführungsdauer beträgt etwa 12 bis 15 Minuten.

Musik

Entsprechend den drei vertonten Strophen ist die Komposition dreiteilig. Die erste Strophe (c-Moll) wird von einem kurzen Orchestervorspiel (Adagio) eingeleitet, das von dissonanten Akzenten und einer absteigenden Linie mit Seufzerfiguren in den Fagotten, Celli und Bässen, begleitet von Tremoli der Geigen und Bratschen, bestimmt wird. Die hinzutretende Altstimme ist expressiv-rezitativisch geführt. Die zweite Strophe – ebenfalls in c-Moll – ist als dreiteilige Arie komponiert. Für die Führung der Solostimme sind, wie bereits in der 1. Strophe, extreme Intervallsprünge bis hin zur Duodezime charakteristisch. In der dritten Strophe tritt in Untermalung der Altstimme ein hymnischer Männerchor hinzu, gemäß dem hoffnungsvolleren Text in Art einer Fürbitte („Ist auf Deinem Psalter, Vater der Liebe, ein Ton seinem Ohr vernehmlich, so erquicke sein Herz“) erfolgt eine Wendung nach C-Dur, in dem das Werk versöhnlich schließt.

Einspielungen (Auswahl)

Jahr Dirigent Alt Chor Orchester
1939 Eugene Ormandy Marian Anderson Male Chorus Of The University Of Pennsylvania Choral Society Philadelphia Orchestra
1941 Bruno Walter Enid Szánthó Westminster Choir New Yorker Philharmoniker
1947 Clemens Krauss Kathleen Ferrier London Philharmonic Choir London Philharmonic Orchestra
1949 Erik Tuxen Kathleen Ferrier Philharmonischer Chor Oslo Philharmonisches Orchester Oslo
1957 Ferenc Fricsay Maureen Forrester RIAS Kammerchor Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
1958 Eduard van Beinum Aafje Heynis Koninklijke Mannenzangvereniging „Apollo“ Concertgebouw-Orchester
1961 Bruno Walter Mildred Miller Occidental College Concert Choir Columbia Symphony Orchestra
1961 Paavo Berglund Maiju Kuusoja Finnish Radio Symphony Male Choir Finnisches Radio-Sinfonieorchester
1962 Otto Klemperer Christa Ludwig Philharmonia Chorus Philharmonia Orchestra
1965 Ernest Ansermet Helen Watts Chœur Pro Arte de Lausanne & Chœur de la Radio Suisse Romande Orchestre de la Suisse Romande
1968 Adrian Boult Janet Baker BBC Men’s Chorus BBC Symphony Orchestra
1970 Adrian Boult Janet Baker John Alldis Chor London Philharmonic Orchestra
1976 Karl Böhm Christa Ludwig Wiener Singverein Wiener Philharmoniker
1982 Giuseppe Sinopoli Brigitte Fassbaender Prager Philharmonischer Chor Tschechische Philharmonie
1988 Claudio Abbado Marjana Lipovšek Ernst-Senff-Chor Berliner Philharmoniker
1988 Robert Shaw Marilyn Horne Atlanta Symphony Orchestra Chorus Atlanta Symphony Orchestra
1989 Riccardo Muti Jessye Norman Choral Arts Society of Philadelphia Philadelphia Orchestra
1995 James Levine Anne Sofie von Otter Arnold Schoenberg Chor Wiener Philharmoniker
1997 Christoph Eschenbach Dunja Vejzovic Houston Symphony Male Chorus Houston Symphony Orchestra
2003 John Nelson Stephanie Blythe A Sei Voci Ensemble Orchestral de Paris
2003 Gerd Albrecht Anna Larsson Dänischer Rundfunkchor Dänisches Radio-Sinfonieorchester
2007 John Eliot Gardiner Nathalie Stutzmann Monteverdi Choir Orchestre Révolutionnaire et Romantique
2011 Philippe Herreweghe Ann Hallenberg Collegium Vocale Gent Orchestre des Champs-Élysées

Literatur

  • Kurt Pahlen: Oratorien der Welt. München, Heyne, 1987, ISBN 3-453-00923-1, S. 113/114
  • Werner Oehlmann: Reclams Chormusikführer. 2. Aufl., Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1976, ISBN 3-15-010017-8, S. 462–464.
  • Wolfgang Sandberger (Hrsg.): Brahms Handbuch, Gemeinschaftsausgabe J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Bärenreiter, 2009, ISBN 978-3-476-02233-2 (Bärenr.), S. 284–286.
Commons: Partitur (Erstausgabe von 1870) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. zit. n. W. Sandberger, S. 284
  2. Anzeige in Blätter von der Saale vom 3. März 1870, Nr. 52.
  3. Gesangsstücke für Concertmusik mit Orchester-Begleitung, sowie mit Begleitung eines andern Instruments. In: Musikalisch-literarischer Monatsbericht neuer Musikalien, musikalischer Schriften und Abbildungen, Jahrgang 1870, Heft Juni, S. 87 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/hof
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