Afghanisch-portugiesische Beziehungen
Die afghanisch-portugiesischen Beziehungen beschreiben das zwischenstaatliche Verhältnis von Afghanistan und Portugal. Die Länder unterhalten seit 1976 direkte diplomatische Beziehungen.[1]
Afghanistan | Portugal |
Die Beziehungen der beiden Ländern gelten traditionell als unbelastet, aber wenig intensiv. Sie werden bestimmt vom vergleichsweise geringen bilateralen Handel und der Aufnahme von geflüchteten Menschen aus Afghanistan in Portugal, zudem war portugiesisches Militär zwischen 2001 und 2014 in Afghanistan präsent. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene ist das Engagement portugiesischer NGOS wie die Assistência Médica Internacional (AMI) und andere zu nennen, die eine Reihe Programme durchführten,[2] bis viele nach der Machtübernahme durch die Taliban 2021 das Land wieder verließen. Auch afghanische Vereine und Institutionen in Opposition zu den Taliban unterhalten Beziehungen zur portugiesischen Zivilgesellschaft.[3]
Im Jahr 2021 waren 598 afghanische Staatsbürger in Portugal registriert (ohne Geflüchtete), davon mit 378 die meisten im Großraum Lissabon.[4] Im Gegenzug waren 2019 keine Portugiesen konsularisch in Afghanistan registriert (ohne Militär- und NGO-Angehörige).[5]
Geschichte
Am 14. April 1976 nahmen die Republik Afghanistan und die Republik Portugal diplomatische Beziehungen auf, am 6. April 1978 akkreditierte sich Luis Gaspar da Silva, Portugals Botschafter in Indien, als erster Vertreter Portugals in Afghanistan. Gegenseitige Vertretungen eröffneten beide Länder danach nicht.
Die portugiesische Öffentlichkeit begleitete den Krieg der Sowjetunion in Afghanistan (1979–1989) zunächst mit überwiegender Sympathie für die afghanischen Mudschahidin, um dann die Bilder des folgenden Afghanischen Bürgerkrieg bis 2001 mit Grauen zu sehen. Die folgende westliche Intervention in Afghanistan wurde von der portugiesischen Öffentlichkeit mitunter auch kritisch gesehen, auch wenn NATO-Gründungsmitglied Portugal sich an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan beteiligte. Auch an der ISAF und der Nachfolgemission Resolute Support war Portugal aktiv mit Truppen beteiligt. Zwischen 2002 und dem Ende des portugiesischen Einsatzes am 31. Mai 2021 waren dort insgesamt 4.500 portugiesische Soldaten aus allen drei Waffengattungen im Einsatz, vor allem in Ausbildung, Luftraumsicherung und Schutz von Hilfsorganisationen. Zwei portugiesische Soldaten kamen dabei ums Leben.[6]
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 organisierte das Außenministerium Portugals umgehend die Rückführung seiner Soldaten, der 16 portugiesischen Zivilkräfte und ihrer afghanischen Angestellten und Angehörigen nach Portugal. Zudem verpflichtete sich Portugal, danach auch so viele gefährdete Menschen der afghanischen Zivilgesellschaft wie möglich aufzunehmen. In dem Zusammenhang kamen in mehreren Schüben Menschen aus Afghanistan nach Portugal, darunter die Fußballerinnen der Afghanischen Fußballnationalmannschaft der Frauen nebst Freunden und Angehörigen (etwa 80 Personen)[7] und 273 Angehörige des Afghan National Institute of Music (ANIM) nebst Familien, darunter das international bekannte, nur aus Mädchen zusammengesetzte Zohra-Orchester.[8]
Diplomatie
Portugal unterhält keine eigene Botschaft in Afghanistan, das Land gehört zum Amtsbezirk des portugiesischen Botschafters in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Portugiesische Konsulate sind in Afghanistan ebenfalls nicht eingerichtet (Stand August 2022).[9]
Afghanistan hat ebenfalls keine Botschaft in Portugal, sondern ist dort mit seinem Vertreter in der französischen Hauptstadt Paris doppelakkreditiert. Auch afghanische Konsulate sind in Portugal nicht eingerichtet (Stand 2021).
Kultur
Nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul im August 2021 flüchteten zahlreiche Kulturschaffende vor drohenden Repressionen der neuen Machthaber, insbesondere Frauen. Dabei kamen in einer Aktion auch 273 Personen aus dem Umfeld des Afghan National Institute of Music (ANIM) am 13. September 2021 über Katar nach Portugal. Darunter waren auch die Mädchen des international bekannten Orchesters Zohra, die hier Ersatz für ihre zurückgelassenen Instrumente erhielten.[10] Seither bezeugten internationale Organisationen und bekannte Musiker ihre Solidarität mit dem Orchester. So besuchte etwa der Cellist Yo-Yo Ma am 29. März 2022 das Orchester Zohra und Vertreter des Afghan National Institute of Music (ANIM) in Lissabon, darunter dessen Gründer, Dr. Ahmad Sarmast.[11]
Am 20. August 2022 strahlte der Sender 3sat die Dokumentation Mission impossible in Kabul – rettet die Musikerinnen der schweizerischen Regisseurin Anne-Fréderique Widmann aus, die den Leidensweg des ausschließlich weiblich besetzten Orchesters Zohra aus dem Kabul der Taliban bis zu ihrer rettenden Flucht über Katar bis nach Portugal nachzeichnet.[12]
Wirtschaft
Das Handelsvolumen zwischen Afghanistan und Portugal belief sich im Jahr 2021 auf 1,333 Mio. Euro (2020: 1,302 Mio.; 2019: 0,358 Mio.; 2018: 0,132 Mio.; 2017: 1,554 Mio.; 2016: 1,095 Mio.; 2015: 0,327 Mio.; 2010: 0,107 Mio.; 2005: 0,160 Mio.; 2000: 0,653 Mio.; 1997: 0,087 Mio.), mit einem Handelsbilanzüberschuss zu Gunsten Portugals von zuletzt (2021) 1,257 Mio. Euro (2020: 1,270 Mio.;2019: 0,343 Mio.; 2018: 0,074 Mio.; 2017: 0,729 Mio.; 2016: 0,939 Mio.; 2015: 0,291 Mio.; 2010: 0,103 Mio.; 2005: 0,156 Mio.; 2000: 0,557 Mio.; 1997: 0,031 Mio.).[13]
Dabei importierte Afghanistan Waren im Wert von 1,295 Mio. Euro aus Portugal, darunter 58,2 % Fahrzeuge und Fahrzeugteile, 28,9 % chemisch-pharmazeutische Erzeugnisse und 12,9 % Maschinen und Geräte.[13]
Portugal führte gleichzeitig aus Afghanistan Waren im Wert von 38.000 Euro ein, zu 90,7 % Textilien.[13]
Damit stand Afghanistan im portugiesischen Außenhandel an 163. Stelle als Abnehmer und an 173. Stelle als Lieferant.[13]
Die portugiesische Außenhandelskammer AICEP unterhält keine Niederlassung in Afghanistan, das Land wird vom AICEP-Büro in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad betreut.
Sport
- Fußball
Die Afghanische Fußballnationalmannschaft und die Portugiesische Nationalelf sind bisher noch nicht aufeinander getroffen, auch die afghanische und die portugiesische Frauen-Nationalelf haben bisher noch nicht gegeneinander gespielt (Stand Juli 2022).
Nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul im August 2021 flüchteten auch die Fußballerinnen der afghanischen Jugend-Fußballnationalmannschaft der Frauen nebst Betreuern, Freunden und Angehörigen nach Portugal, wo sie in Lissabon von der ehemaligen Kapitänin der Nationalmannschaft, der in Kanada lebenden Farkhunda Muhtaj begrüßt wurden und Asyl erhielten.[7][14]
- Andere
Die erste offizielle afghanische Surfmeisterschaft fand 2015 im portugiesischen Ericeira statt, Afridun Amu wurde erster afghanischer Surfmeister.
Der afghanische Judoka Mohammad Tawfiq Bakhshi war Fahnenträger des afghanischen Teams bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. In der ersten Runde schied er dort gegen den Portugiesen Jorge Fonseca aus.
Das Peace & Sports Council of Afghanistan unterhält eine Vertretung in Portugal.[3]
Weblinks
- Übersicht zu den diplomatischen Beziehungen Portugals zu Afghanistan, diplomatisches Institut im portugiesischen Außenministerium
Einzelnachweise
- Übersicht über die diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan beim diplomatischen Institut im portugiesischen Außenministerium, abgerufen am 20. August 2022
- Alfredo Cunha (Fotos), Luís Pedro Nunes (Text): Toda a Esperança do Mundo., Porto Editora, Porto 2015 (ISBN 978-972-0-04780-9), S. 304 und 316
- Resistência aos talibãs em contacto próximo com sociedade civil em Portugal. - „Widerstand gegen Taliban in engem Kontakt zu portugiesischer Zivilgesellschaft“, Artikel vom 20. August 2022 der Zeitung Diário de Notícias (Madeira), abgerufen am 21. August 2022
- Anzahl der Ausländer in den offiziellen Ausländerstatistiken nach Distrikt, portugiesische Ausländer- und Grenzbehörde SEF, abgerufen am 20. August 2022
- Webseite zur afghanisch-portugiesischen Migration beim portugiesischen wissenschaftlichen Observatório da Emigração, abgerufen am 20. August 2022
- As Forças Armadas no Afeganistão - „Die portugiesischen Streitkräfte in Afghanistan“, Artikel vom 3. Juni 2021 des portugiesischen Generalstabschef im Nachrichtenportal Observador.pt, abgerufen am 21. August 2022
- Futebolistas afegãs refugiadas são surpreendidas em Lisboa - „Afghanische Fußballerinnen werden in Lissabon überrascht“, Artikel vom 30. September 2021 der Euronews, abgerufen am 21. August 2022
- Chegada a Portugal de 270 refugiados afegãos, na maioria jovens de orquestra - „Ankunft in Portugal von 270 afghanischen Flüchtlingen, mehrheitlich jugendliche Orchestermitglieder“, Artikel vom 13. Dezember 2021 des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders RTP, abgerufen am 21. August 2022
- Konsularische Kontaktdaten Portugals in Afghanistan, Website des portugiesischen Außenministeriums für Reisende und Auslandsportugiesen, abgerufen am 20. August 2022
- Orquestra afegã encontra esperança em Portugal - „Afghanisches Orchester findet Hoffnung in Portugal“, Artikel vom 15. Dezember 2021 des Radiosender Rádio Renascença, abgerufen am 21. August 2022
- Yo-Yo Ma Visits Students in Lisbon, Artikel vom 30. März 2022, Website des ANIM, abgerufen am 21. August 2022
- Mission impossible in Kabul, Fernsehfilm der Schweizer Regisseurin Anne-Frédrique Widmann, 3sat 2022, Abruf in der 3sat-Mediathek bis 18. September 2022
- Statistiken zum Außenhandel mit Afghanistan des Gabinete de Estratégia e Estudos im portugiesischen Wirtschaftsministerium, abgerufen am 20. August 2022
- Afghanistan girls soccer team given asylum in Portugal, Artikel vom 22. September 2021 der US-Zeitung New York Post, abgerufen am 20. August 2022