Amarna

Tell el-Amarna, auch kurz nur Amarna, ist eine archäologische Fundstätte am Ostufer des Nils in Mittelägypten, im Gouvernement al-Minya. Sie befindet sich etwa 312 Kilometer südlich von Kairo.[1]

Amarna in Hieroglyphen
N27
X1 O1
M17X1
N35
N5

Achet-Aton
Ꜣḫt-Jtn
Horizont des Aton
Nordpalast

Mit Amarna werden in der ägyptologischen Forschung meist die in der Nähe befindlichen Ruinen der ehemaligen altägyptischen Hauptstadt von König Echnaton, Achet-Aton, bezeichnet, die sich im ehemaligen 15. oberägyptischen Gau („Hasengau“) befand.[1]

Der Ort ist namengebend für einen Zeitabschnitt der späten 18. Dynastie, der als Amarna-Zeit (um 1400 v. Chr.) bezeichnet wird.

Etymologie

Der Begriff Tell el-Amarna wurde von europäischen Reisenden im 19. Jahrhundert geprägt.[2] Er setzt sich aus dem Namen der modernen Siedlung „et-Till“ und entweder der Bezeichnung „Beni Amran“ (früherer arabischer Volksstamm) oder „al-Amaria“, einem weiteren Dorf in der Umgebung, zusammen. Dagegen hat der Begriff nichts mit Tell, der arabischen Bezeichnung für einen Siedlungshügel, zu tun, da es in dieser Gegend keinen solchen Hügel gibt.[3]

Der antike Name des Ortes lautete Achetaton („Horizont des Aton“), wobei die eigentliche Stadt wahrscheinlich den Namen des Haupttempels Per Aton („Haus des Aton“) trug.[1]

Forschungsgeschichte

Die Ruinen von Achetaton wurden bereits von der französischen Expedition unter Napoleon Bonaparte besucht, die wissenschaftliche Erforschung begann allerdings erst mit John Gardner Wilkinson, der 1824 die Felsengräber an der Ostseite der Stadt entdeckte. Karl Richard Lepsius, der den Ort auf seiner Expedition nach Nubien für kurze Zeit besuchte, fertigte 1843 einige Zeichnungen und Gipsabgüsse an.[4]

Nachdem eine Fellachin im Jahr 1887 Tontafeln mit Keilschriftbriefen entdeckt hatte, die einen Teil der Korrespondenz zwischen dem ägyptischen Königshof und vorderasiatischen Fürsten darstellten, begannen im Winter 1891/1892 erste systematische Ausgrabungen des Egypt Exploration Fund (EEF, 1919 in Egypt Exploration Society umbenannt) unter der Leitung von Flinders Petrie. Petrie fand weitere Tontafeln und das „Staatsarchiv“ nahe der Königsresidenz. Norman de Garis Davies kopierte von 1901 bis 1907 für den EEF die Inschriften der Felsengräber und Texte sämtlicher Grenzstelen.[5][1]

Tell el-Amarna war auch einer der Forschungs- und Ausgrabungsschwerpunkte der Deutschen Orient-Gesellschaft (DOG) von 1911 bis 1914 unter Ludwig Borchardt. Er fand am 6. Dezember 1912 in der Werkstatt des Bildhauers Thutmosis unter anderem die berühmte Nofretete-Büste, die seit 2009 wieder im Neuen Museum Berlin zu sehen ist.

Von 1921 bis 1936 unternahm die Egypt Exploration Society (EES) umfangreiche Arbeiten im Stadtgebiet und untersuchte unter anderem das Königsgrab Echnatons.[5]

Blöcke vieler Bauten wurden in den 1920er Jahren als wiederverwendetes Baumaterial in Karnak und 1939 von einer deutschen Expedition unter der Leitung von Günther Roeder in Hermopolis entdeckt.[5]

Die EES nahm 1977 unter der Leitung von Barry Kemp (University of Cambridge, UK) ihre Arbeit wieder auf. Seit 1980 widmet sie sich in Zusammenarbeit mit der ägyptischen Antikenbehörde verstärkt der Restaurierung und Rekonstruktion der Stadtanlage.[5]

Gründung

Grenzstele U

An diesem Ort gründete König (Pharao) Echnaton (Amenophis IV.) die neue Hauptstadt Achet-Aton zu Ehren des Aton beziehungsweise für diesen Gott. Die Größe der Stadt legte Echnaton durch insgesamt 15 sogenannte „Grenzstelen“ fest, die er in seinem fünften, sechsten und achten Regierungsjahr am Ost- und Westufer des Nils errichten ließ.[6] Gemäß der Inschriften einer aus seinem 5. Regierungsjahr zu datierenden Grenzstele war dies der Platz „der Schöpfung, den er (der König) ihm (dem Gott) bereitet hat“.[7] Aufgrund der Verwendung von standardisierten Steinblöcken, den sogenannten Talatat, dauerte die Bauzeit der Stadt ca. drei Jahre.

Eigentlich war Achetaton keine Hauptstadt im modernen Sinn wie Memphis oder Theben, sondern im Wesentlichen königliche Residenz und religiöses Zentrum. Sie ist eher mit Tjehen-Aton („Glanz des Aton“), der neuen Stadtgründung von Amenophis III. in Westtheben vergleichbar. Beide besaßen einen als Per Hai („Haus des Jubels“) bezeichneten offiziellen Zentralbezirk mit Tempeln und Palästen, in denen königliche Gedenkfeste (Heb-Sed) abgehalten wurden, und weitere spezielle Bauten, wie die für Vergnügungszwecke angelegten Komplexe Maru-Amun und Maru-Aton.[8]

Anlage der Stadt

1. Nordfriedhof 2. Südfriedhof 3. Wüstenheiligtümer 4. Nordstadt 5. Nordpalast 6. Maru-Aton 7. Südstadt 8. Großer Atontempel 9. Kom el-Nana 10. Arbeitersiedlung 11. Arbeiterfriedhof 12. Königliches Wadi 13. Grab von Echnaton V Grenzstele „V“ U Grenzstele „U“

Bauten

Räume des Nordpalastes

Die in den Fels der Wüste geschlagenen Grenzstelen zeigen den König, die Königin und einige der Töchter. Die Inschriften berichten von der Gründung der Stadt. Neben den Stelen waren auch Statuen der Herrscherfamilie in den Fels gehauen. Im Zentrum der Stadt befanden sich die meisten öffentlichen Gebäude. Hier ist vor allem der Aton-Tempel zu nennen, dessen Mauern ein Gelände von 730 mal 229 Meter einnahmen. Bei einem kleineren Aton-Tempel handelt es sich eventuell um einen Tempel für den Atonkult, aber auch für den Kult des Herrschers. Im Zentrum der Stadt befanden sich auch Palastanlagen, die aus verschiedenen Höfen und Sälen bestanden. Von hier aus wurde das ganze Land regiert. So ist es nicht verwunderlich, dass man ein nahezu unversehrtes diplomatisches Archiv in Form von Keilschrift-Tontafeln auffand, die sogenannten Amarna-Briefe.

Die meisten Paläste waren einst reich mit Statuen und Malereien, wie auch mit in Wände eingelegten Glas- und Keramikfayencen dekoriert. Nördlich und südlich des Stadtzentrums befanden sich die eigentlichen Wohngebiete. Ganz im Süden stand eine als Maru-Aton bezeichnete Anlage unbekannter Funktion. Ganz im Norden fand sich ein weiterer Stadtteil. Hier konnten starke Mauern beobachtet werden, doch ist dieser Teil der Stadt schlecht erhalten. Es wurde vermutet, dass es sich hier um den eigentlichen Wohnpalast von Echnaton handelte. Eine Arbeitersiedlung, wohl zum Bau von Grabanlagen fand sich im Osten, circa zwei Kilometer in der Wüste, von der eigentlichen Stadt entfernt.

Kunst

Wandmalerei aus einem Palast von Amarna (Ashmolean Museum, Oxford)

Die Künstler von Amarna führten Malerei, Bildhauerei und Reliefkunst zu einer beispiellosen Blüte, mit äußerst lebendigen, teilweise auch karikierenden, Szenen aus dem täglichen Leben und einer menschlichen Darstellung auch des Königspaares Echnaton und Nofretete, die im Gegensatz zu der erstarrten abstrakten und typisierten archaischen Kunst Ägyptens stand. Die Kunst dieser Zeit wird deshalb auch als „Amarnakunst“ bezeichnet.

Felsengräber

In den östlichen Bergen liegt die Nekropole von Amarna, die sich in einen Nordfriedhof (Grabnummern 1 bis 6), den Südfriedhof (Grabnummern 7 bis 25) und das königliche Wadi, mit dem Königsgrab sowie vier weiteren sogenannten Nebengräbern (Gräber 27 bis 30), gliedert. Bis auf die Nebengräber im Königswadi konnten alle Gräber aufgrund von Inschriften namentlich zugeordnet werden. Die nördlichen und südlichen Gräber sind alle Privatgräber, wobei die Bestatteten im nördlichen Friedhof Ratgeber des Königs waren und jene in den südlichen Gräbern zur Exekutive in Echnatons Regierungszeit zählten.

In diesen Grabmälern sind zum Teil eine Vielzahl von Dekorationen in Form von Malereien oder Reliefs erhalten geblieben. Sie ermöglichen den Forschern einen tiefen Einblick in die Lebensgewohnheiten der Einwohner der damaligen Stadt Achet-Aton, des Aton-Kultes, der königlichen Familie und Art der Regentschaft. Die Beamtengräber wurden im Dezember 1891 von Alessandro Barsanti entdeckt. So findet sich im Grab des Eje (Nr. 25) die einzige erhaltene Fassung des sogenannten Aton-Hymnus, auch als Sonnengesang oder Sonnenhymus bezeichnet, der in 13 Kolumnen fast die vollständige Fläche der rechten Wand im Eingangskorridor ausfüllt.

Nach der Echnaton-Regentschaft

Die Stadt bestand nur für kurze Zeit. Nach Echnatons Tod zog der Hof unter König Tutanchamun in die alte Hauptstadt Memphis, und Achet-Aton wurde danach nie wieder in großem Umfang besiedelt. Einiges deutet darauf hin, dass der Tempelbetrieb bis in die Zeit von Haremhab, möglicherweise noch bis Sethos I. aufrechterhalten wurde.[8]

Spätere Pharaonen zerstörten sehr viel von dem Werk des Echnaton, um die Erinnerung an ihn auszulöschen. Viele Gebäude wurden zur Zeit von Ramses II. abgetragen, das Material für verschiedene landesweite Bauvorhaben wiederverwendet. So fanden sich Talatat-Blöcke aus Achet-Aton vor allem in Antinoupolis und in den Tempeln von Hermopolis, auf dem anderen Flussufer, wo sie als Füllmaterial dienten, aber auch im mehrere hunderte Kilometer entfernten Karnak.[8]

Gräber der 22. und 23. Dynastie im südöstlich gelegenen Arbeiterdorf deuten auf eine schwache Wiederbesiedlungsphase in spätpharaonischer Zeit hin. Die Römer legten in der nördlichen Vorstadt Häuser und einen großen Friedhof an, in spätrömischer Zeit folgte eine Festung. Christliche Spuren finden sich unter anderem in Grab Nr. 6, das zu einer Kirche zweckentfremdet wurde.[8]

Museum und Besucherzentrum

Nahe an der Ausgrabungsstätte, am Ufer des Nil in Al Minya, ließ das Ägyptische Kultusministerium ein Museum errichten. Es erhielt die Form eines Segels und beim Bau gab es deutsche Unterstützung.[9][10]

Siehe auch

Literatur

  • Kathryn A. Bard (Hrsg.): Encyclopedia of the Archaeology of Ancient Egypt. Routledge, London 1999, ISBN 0-415-18589-0, S. 763–776.
  • Barry Kemp: The City of Akhenaten and Nefertiti: Amarna and its People. First paperback Edition, Thames & Hudson, London 2013, ISBN 978-0-500-29120-7.
  • Barry Kemp, Salvatore Garfi: A survey of the ancient city of El-'Amarna. (= Occasional publications. Band 9). Egypt Exploration Society, London 1993, ISBN 978-0-85698-122-7.
  • William J. Murnane, Charles Cornell Van Siclen: The boundary stelae of Akhenaten (= Studies in Egyptology.). Kegan Paul International, London/ New York 1993, ISBN 0-7103-0464-1
  • J. D. S. Pendlebury: Tell el-Amarna. Dickson & Thompson, London 1935.
  • W. M. Flinders Petrie: Tell El Amarna. Methuen & Co, London 1894.
  • Herbert Ricke: Der Grundriss des Amarna-Wohnhauses. Mit 26 Tafeln und 60. Abbildungen im Text (= Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Tell-el-Amarna. Band 4.; Wissenschaftliche Veröffentlichung. Band 56). Leipzig 1932.
  • Heinrich Schäfer: Amarna in Religion und Kunst. In: Sendschrift der Deutschen Orient-Gesellschaft. Nr. 7, Henrichs, Leipzig 1931.
  • Christian Tietze (Hrsg.): Amarna. Lebensräume – Lebensbilder – Weltbilder (= Ausstellungskatalog Köln 2008). 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Arcus-Verlag, Weimar 2010, ISBN 978-3-00-031582-4.
  • Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, Friederike Seyfried (Hrsg.): Im Licht von Amarna: 100 Jahre Fund der Nofretete; [Katalog zur Ausstellung vom 07. Dezember 2012-13. April 2013: 100 Jahre Fund der Nofretete]. Imhof, Petersberg 2012, ISBN 978-3-86568-842-2.
  • Publikationen zu Amarna im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek

Dokumentationen

Commons: Amarna – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Eric P. Uphill: Tell el-Amarna, city. In: Kathryn A. Bard (Hrsg.): Encyclopedia of the Archaeology of Ancient Egypt. Routledge, London 1999, ISBN 0-415-18589-0, S. 763.
  2. B. Kemp in: Wolfgang Helck, Eberhard Otto, Wolfhart Westendorf: Lexikon der Ägyptologie. (LÄ) Band VI, Harrassowitz, Wiesbaden 2000, ISBN 3-447-04468-3, Spalte 309ff.
  3. Gabriele Höber-Kamel: Zur Geschichte der Amarna-Zeit. In: Kemet. Heft 3: Nofretete. 2010, S. 4.
  4. Christian Tietze (Hrsg.): Amarna. Lebensräume – Lebensbilder – Weltbilder. Weimar 2010, S. 36.
  5. Christian Tietze (Hrsg.): Amarna. Lebensräume – Lebensbilder – Weltbilder. Weimar 2010, S. 37.
  6. Nicholas Reeves: Echnaton. Ägyptens falscher Prophet (= Kulturgeschichte der antiken Welt. Band 91). von Zabern, Mainz 2002, ISBN 3-8053-2828-1, S. 182.
  7. Hermann A. Schlögl: Echnaton – Tutanchamum. Daten, Fakten, Literatur. 5., erweiterte Auflage, Harrassowitz, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-447-06845-1, S. 102.
  8. Eric P. Uphill: Tell el-Amarna, city. In: Kathryn A. Bard (Hrsg.): Encyclopedia of the Archaeology of Ancient Egypt. Routledge, London 1999, ISBN 0-415-18589-0, S. 764.
  9. Amarna-Projekt: Museum (englisch), Oktober 2017, abgerufen am 5. Februar 2020.
  10. Tell el Amarna - heute Grabkammern mit Säulenhallen oberhalb der Stadt. Der Tagesspiegel. vom 2. Dezember 2012, Auf: tagesspiegel.de; abgerufen am 3. Februar 2022.

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