Abdelhamid Abaaoud
Abdelhamid Abaaoud (arabisch عبد الحميد أبا عود, DMG ʿAbd al-Ḥamīd Abā ʿŪd, * 8. April 1987[1][2][3] in Anderlecht;[4][2] † 18. November 2015 in Saint-Denis,[5] Frankreich), bekannt auch unter den Kampfnamen Abu Omar al-Baldschiki[6] (französisch Abou Omar al-Baljīkī) bzw. Abou Omar el-Belgiki („der Belgier“)[7] sowie Abou Omar (Al-)Soussi,[8][9] war ein belgischer islamistischer Terrorist marokkanischer Herkunft der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Er gilt unter anderem als Planer der Anschläge am 13. November 2015 in Paris.
Kindheit und Jugend
Abdelhamid Abaaoud wurde 1987 als eines von sechs Kindern marokkanischer Eltern in Anderlecht in der belgischen Region Brüssel-Hauptstadt geboren. Sein Vater war 1975 aus dem Süden Marokkos nach Belgien gekommen und hatte in einem Bergwerk gearbeitet, bevor er ein Bekleidungsgeschäft eröffnete.[9][10][11][12] Abaaoud wuchs in der Gemeinde Molenbeek-Saint-Jean nördlich von Anderlecht auf[8] und besaß die belgische und marokkanische Staatsangehörigkeit. Molenbeek-Saint-Jean gilt als zweitärmste Gemeinde Belgiens mit sehr hoher Arbeitslosigkeit. Die mehrheitlich von Personen mit marokkanischen Wurzeln bewohnte Gemeinde ist seit den 2010er-Jahren als Schwerpunkt von Islamisten und Terrorsympathisanten bekannt.[13]
Da seine Eltern ehrgeizige Ziele für Abaaoud hatten, schickten sie ihn auf eine Schule im vornehmen Wohnviertel Uccle, das Collège Saint-Pierre. Dort ging er ab 1999 zwei Jahre lang zusammen mit Kindern der reichsten Familien Brüssels zur Schule. Damalige Mitschüler beschreiben ihn im Rückblick als gut integrierten Schüler, der sich mit allen verstanden, mit einigen Jungen Fußball gespielt und Stimmung in die weltoffene Klasse gebracht habe.[14]
Seit seiner Kindheit war Abaaoud mit Salah Abdeslam befreundet. Gemeinsam begingen sie 2010 und 2011 in Brüssel verschiedene Straftaten. Beide wurden dabei mindestens einmal gefasst.[15][16]
IS-Terrorismus
Etwa 2013 soll sich Abdelhamid Abaaoud dem IS angeschlossen haben. Unter seinem Kampfnamen tauchte er seither in mehreren Propagandavideos der Dschihadisten auf. Abaaoud posierte auf Fotos mit seinem damals 13-jährigen Bruder Younes Abaaoud. Diesen lockte er ebenfalls nach Syrien. Der Junge hält auf den Bildern Waffen in den Händen.
Am 20. Januar 2014 wurde Abaaoud am Flughafen Köln/Bonn kontrolliert, als er nach Istanbul ausreisen wollte. Man hinderte ihn aber nicht an der Weiterreise, da damals laut Behördenangaben kein Grund dafür vorgelegen habe. Da er im Schengener Informationssystem eingetragen war, wurden die belgischen Behörden über diese Kontrolle informiert. Angeblich wollte er Freunde und Bekannte besuchen und dann nach Köln zurückkehren; eine spätere Wiedereinreise wurde aber nicht festgestellt. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen hielt er sich 2007 schon einmal in Köln auf, die Hintergründe des Besuchs sind unklar.[17][4][16]
Ein Jahr später reiste Abaaoud im Januar 2015, kurze Zeit nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris, als Anführer einer dreiköpfigen Dschihadistenzelle von Syrien nach Belgien ein, um dort Anschläge zu verüben. Nach Erkenntnissen der Ermittler beabsichtigte das Trio, Kioske zu zerstören, in denen die Charlie-Hebdo-Ausgabe verkauft werden sollte, die nach dem Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins erschien.
Die belgische Polizei konnte die Anschläge jedoch rechtzeitig vereiteln. Noch ehe die Gruppe ihre Pläne verwirklichen konnte, wurde ihr Versteck am 15. Januar 2015 im belgischen Verviers von Polizeikräften gestürmt. Zwei der Terroristen wurden im Verlauf des Zugriffs getötet. Abaaoud befand sich zum Zeitpunkt der Razzia nicht in der Wohnung; er konnte über Griechenland nach Syrien fliehen. Wahrscheinlich konnte er dabei auf ein Netzwerk von Islamisten zurückgreifen. Im Februar 2015 gab er Dabiq – dem englischsprachigen Propagandamagazin des IS – ein Interview, in dem er erklärte, er sei damals mit zwei Gesinnungsgenossen nach Europa gereist, „um die Kreuzzügler zu terrorisieren, die Krieg gegen die Muslime führen.“[18][19][20][21] Nach dem gescheiterten Attentatsplan sei ihm die Rückkehr nach Syrien gelungen, obwohl ihm die Behörden in Griechenland auf der Spur gewesen seien. „All das beweist, dass ein Muslim die Geheimdienste der Kreuzzügler nicht fürchten sollte“, erklärte er.[18]
Abdelhamid Abaaoud wurde daraufhin von einem belgischen Gericht Ende Juli 2015 in Abwesenheit zu zwanzig Jahren Zuchthaus wegen der Rekrutierung von Kämpfern für das Terrornetzwerk IS verurteilt.[22][23] Der Richter bezeichnete ihn als wichtigsten IS-Rekrutierer in Belgien.
Behördenkreise vermuten Abdelhamid Abaaoud auch hinter dem Anschlag auf einen Thalys-Schnellzug vom August 2015.[24] Laut dem französischen Innenminister Bernard Cazeneuve wurde nach Abaaoud schon vor den Anschlägen in Paris gefahndet, da er an vier von sechs geplanten Anschlägen seit dem Frühjahr beteiligt gewesen sein soll,[17] unter anderem sollte im April die Kirche Saint-Cyr-Sainte-Julitte im Pariser Vorort Villejuif angegriffen werden.[16]
Der staatliche französische Sender France 2 zeigte nach den Anschlägen von Paris vom November 2015 Bilder des lachenden Abaaoud in Syrien, wie er mehrere Leichen hinter seinem Auto herschleifte. Französische Medien berichteten, die französische Luftwaffe habe versucht, Abaaoud in einem IS-Bunker in der IS-Hochburg Ar-Raqqa durch Luftschläge zu töten.
Le Monde berichtete, der nach Frankreich zurückgekehrte französische Islamist Reda Hame habe von Abdelhamid Abaaoud 2000 Euro mit dem Auftrag erhalten, „einfache Ziele wie einen Konzertsaal“ anzugreifen und dabei so viele Menschen wie möglich zu töten. Das soll Reda Hame im August 2015 zu französischen Ermittlern gesagt haben.[24]
Am 18. November 2015 kam Abaaoud im Rahmen einer siebenstündigen Razzia, die in Verbindung mit den Anschlägen vom 13. November 2015 stand, in der Rue du Corbillon im Pariser Vorort Saint-Denis im Alter von 28 Jahren ums Leben. Er wurde in der gestürmten Wohnung – in der sich zu diesem Zeitpunkt mindestens drei Personen befanden[25] – von mehreren Kugeln und einem Granatsplitter getroffen und später anhand seines Fingerabdrucks identifiziert, da sein Leichnam sehr entstellt war. Als sich einer der Verdächtigen während des Polizeieinsatzes, bei dem die Polizeikräfte mehr als 5000 Schüsse abfeuerten, in die Luft sprengte,[26] starb auch Abaaouds 26-jährige, französisch-marokkanische Cousine Hasna Aitboulahcen (bzw. Hasna Aït Boulahcen), nachdem sie eine Salve aus einer Kalaschnikow abgefeuert hatte. Sie war seit Mai 2013 Geschäftsführerin des Bauunternehmens Beko Construction in Épinay-sur-Seine.[27] Zuvor berichteten die Medien, sie hätte sich selbst gesprengt.[1][17][28][29] Dies lag auch daran, dass die Wohnung nach der Razzia und der Sprengung sehr zerstört war (ein Loch in der Außenwand und die Decke war eingestürzt) und man die Leiche des Selbstmordattentäters deswegen erst am 20. November 2015 fand; sein Kopf war bei der Stürmung der Wohnung aus dem 3. Stock gefallen.[30][31]
Einzelnachweise
- Abdelhamid Abaaoud tué à Saint-Denis. (Memento vom 20. November 2015 im Internet Archive) In: journalchretien.net, Journal Chretien, 19. November 2015, abgerufen am 2. Mai 2019 (französisch).
- Elise Vincent: Ce que les services belges savaient d’Abdelhamid Abaaoud. In: lemonde.fr, Le Monde, 20. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch): „On y apprend qu’Abdelhamid Abaaoud est né à Anderlecht, le 8 avril 1987“.
- Timothée Boutry, Thibault Raisse, Stéphane Sellami: L’ombre d’Abaaoud derrière les attentats. In: leparisien.fr, Le Parisien, 17. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch): „Né en 1987, […]“.
- Jörg Diehl: Mutmaßlicher Drahtzieher der Pariser Anschläge: Getöteter IS-Terrorist Abdelhamid Abaaoud war auch in Deutschland. In: spiegel.de, Spiegel Online, 19. November 2015, abgerufen am 19. November 2015.
- Mutmaßlicher Drahtzieher der Paris-Anschläge ist tot. In: welt.de, Die Welt, 19. November 2015, abgerufen am 22. November 2015.
- Das ist der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge in Paris. In: augsburger-allgemeine.de, Augsburger Allgemeine, 16. November 2015, abgerufen am 22. November 2015.
- Belgium Confronts the Jihadist Danger Within. In: nytimes.com, New York Times, 24. Januar 2015, abgerufen am 22. November 2015 (englisch).
- Qui est Abdelhamid Abaaoud, le commanditaire présumé des attentats ciblé par le RAID à Saint-Denis ? In: lemonde.fr, Le Monde, 16. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- Didier Bauweraerts, Isopix, Sipa: Abdelhamid Abaaoud : qui est le donneur d'ordre de Daesh en Europe, ciblé par une opération de police ? In: linternaute.com, Linternaute, 16. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- Qui est Abdelhamid Abaaoud, le jihadiste qui nargue toutes les polices ? In: dhnet.be, Dernière Heure, 17. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- „J’ai honte pour mon fils Abdelhamid“. In: dhnet.be, Dernière Heure, 20. Januar 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- Cellule terroriste de Verviers: le père du “suspect n°1” sera partie civile contre son propre fils! In: dhnet.be, Dernière Heure, 1. Mai 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- Christoph B. Schiltz: „Hier fallen islamistische Terroristen nicht auf“. In: welt.de, Die Welt, 15. November 2015, abgerufen am 22. November 2015.
- Abdelhamid Abaaoud, l’homme le plus recherché de Belgique a fréquenté une école huppée. (Memento vom 17. November 2015 im Internet Archive) In: sudinfo.be, 21. Januar 2015, abgerufen am 18. November 2015 (französisch).
- Britta Sandberg: Bataclan-Prozess in Frankreich: Paris-Attentäter Salah Abdeslam und die Banalität des Terrors. In: Der Spiegel. 19. November 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 21. November 2021]).
- Drahtzieher der Anschläge: Bundespolizei ließ Abaaoud in Türkei reisen. In: faz.net, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. November 2015, abgerufen am 19. November 2015.
- Liveticker zum Terror in Europa. In: n-tv.de, n-tv, 19. November 2015, abgerufen am 22. November 2015.
- Christoph Sydow: Hintermann der Attentäter: Die Spur zum Terrorpaten. In: spiegel.de, Spiegel Online, 16. November 2015, abgerufen am 22. November 2015.
- Abdelhamid Abaaoud – Der Drahtzieher des Terrors. in: cicero.de, Cicero, 16. November 2015, abgerufen am 22. November 2015.
- Cellule démantelée en Belgique: le "cerveau" revendique la préparation d’attentats. In: dhnet.be, Dernière Heure, 12. Februar 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- Paris-Attentäter Salah Abdeslam laut Bruder „ganz normaler Junge“. (Memento vom 21. November 2015 im Internet Archive) In: berliner-kurier.de, Berliner Kurier, 16. November 2015, abgerufen am 22. November 2015.
- Kirsten Ripper: Abdelhamid Abaaoud – der mutmaßliche Auftraggeber. In: de.euronews.com, Euronews, 16. November 2015, abgerufen am 18. November 2015.
- « Filière syrienne » : 20 ans pour Abaaoud et les frères Lachiri, 12 ans pour Zerkani. In: rtbf.be, 29. Juli 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- Soren Seelow: Abdelhamid Abaaoud, l’instigateur présumé des attentats tué à Saint-Denis. In: lemonde.fr, Le Monde, 16. November 2015, abgerufen am 19. November 2015 (französisch).
- Saint-Denis: Cousine des Anschlagplaners Abaaoud sprengte sich nicht in die Luft. In: spiegel.de, Spiegel Online, 20. November 2015, abgerufen am 24. Mai 2020.
- Hasna Ait Boulahcen, décédée durant l'assaut de Saint-Denis, n'est pas morte en kamikaze. In: tempsreel.nouvelobs.com, 20. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- Liquidation judiciaire Beko Construction. In: ProcedureCollective.fr, 20. November 2015, abgerufen am 20. November 2015 (französisch).
- Who Is Hasna Aitboulahcen? Paris Female Suicide Bomber Detonates During Saint-Denis Raid. In: dailyentertainmentnews.com, Daily Entertainment News, 18. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (englisch).
- Frédéric Bianchi: Assaut à Saint-Denis: la femme kamikaze avait dirigé une entreprise de maçonnerie. In: bfmbusiness.bfmtv.com, BFM TV, 18. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).
- Saint-Denis: Cousine des Anschlagplaners Abaaoud sprengte sich nicht in die Luft. In: spiegel.de, Spiegel Online, 20. November 2015, abgerufen am 22. November 2015.
- Violette Lazard: Info Obs. Salah Abdeslam aurait craqué au moment de passer à l’acte. In: tempsreel.nouvelobs.com, 20. November 2015, abgerufen am 22. November 2015 (französisch).