ATACMS

Die ATACMS (Akronym für englisch Army TACtical Missile System) ist eine ballistische Kurzstreckenrakete aus US-amerikanischer Produktion. Der Systemindex der US-Streitkräfte lautet MGM-140, MGM-164 und MGM-168.

ATACMS

ATACMS-Raketenstart von einem M142 HIMARS
ATACMS-Raketenstart von einem M142 HIMARS

Allgemeine Angaben
Typ Kurzstreckenrakete[1]
Heimische Bezeichnung MGM-140, MGM-164, MGM-168
NATO-Bezeichnung Army Tactical Missile System (ATACMS)
Herkunftsland Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten
Hersteller Lockheed Martin
Entwicklung 1982
Indienststellung 1990
Stückpreis 0,82–1,7 Mio. USD
Technische Daten
Länge 4,00 m
Durchmesser 604 mm
Spannweite 1400 mm
Antrieb Feststoff-Raketentriebwerk
Geschwindigkeit 1020 m/s (Mach 3)
Reichweite 270–300 km
Ausstattung
Lenkung GPS plus INS
Gefechtskopf WDU-18, 215 kg
Zünder Aufschlagzünder, Abstandszünder, Verzögerungszünder
Waffenplattformen M270 und HIMARS
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Entwicklung

Die ATACMS entstand auf Grund einer Forderung der Streitkräfte der Vereinigten Staaten. Diese wollten die Kurzstreckenrakete MGM-52 Lance ersetzen. Im Rahmen der AirLand-Battle- und Follow-on-Forces-Attack-Konzepte sollte die neue Rakete feindliche Truppen und Gerät weit hinter der Kriegsfront bekämpfen. Der Entwicklungsauftrag wurde Ling-Temco-Vought (heute Lockheed Martin) 1982 zugesprochen. Der erste Teststart erfolgte am 26. April 1988. Die ersten Raketen wurden im Juni 1990 an die United States Army ausgeliefert.[2][3]

Technik

MGM-140 ATACMS

Als Transport- und Startfahrzeug kommt das Kettenfahrzeug M270A1 zur Anwendung, welches auch für das MLRS-System verwendet wird. Ein Fahrzeug kann zwei ATACMS-Raketen transportieren. Als weiteres Startfahrzeug kam später HIMARS hinzu, welches eine ATACMS-Rakete transportiert.[2]

Die ATACMS-Rakete wird von einem HTPB-Komposit-Feststofftreibsatz angetrieben, der sie auf eine Brennschlussgeschwindigkeit von rund 1020 m/s (Mach 3) beschleunigt. Die Steuerung erfolgt mittels eines Trägheitsnavigationssystems, die während des gesamten Flugs aktiv ist. Die Kurskorrekturen erfolgen durch vier trapezförmige Steuerflügel am Raketenheck. Die Reichweitensteuerung erfolgt nicht durch Schubterminierung, sondern durch Anpassen der Flugbahn. Daher kann die Flugbahn der Raketen neben der üblichen Wurfparabel auch einer semi-ballistischen Kurve gleichen. Der Scheitelpunkt liegt hierbei bei rund 48 km. Die Raketen der zweiten Serie verfügen über einen leistungsstärkeren Raketenmotor, einen zusätzlichen GPS-Empfänger sowie über eine modifizierte Steuersoftware, welche die Rakete auf ein optimales Flugprofil steuert. Dadurch haben diese Raketen eine rund doppelt so große Reichweite sowie eine deutlich erhöhte Treffergenauigkeit.[2][3]

Die Ausführungen MGM-140A/B/D sind mit einem Gefechtskopf mit Streumunition ausgerüstet. Die Bomblets werden in einer vorselektierten Höhe ausgestoßen und gehen in einem kreisförmigen Gebiet von 33.000 m² nieder (Kreisdurchmesser ca. 205 m). Die M74 APAM-(Anti-Personnel Anti-Material)-Bomblets können gegen weiche und halbharte Ziele eingesetzt werden. Jedes Bomblet hat einen Splitterwirkungskreis von rund 15 m. Das M74-Bomblet ist kreisrund mit einem Durchmesser von 71 mm. Es wird durch den M219A2-Aufschlag- und Zeitzünder zur Detonation gebracht. Bei Einsätzen im Irak und in Afghanistan hatten die M74-Bomblete eine durchschnittliche Blindgängerrate von rund 2 %.[4][5] Die Ausführungen MGM-164/168 sind mit dem WDU-18-Gefechtskopf der AGM-84 Harpoon bestückt. Er wiegt 215 kg. Während die Ausführung MGM-164 mit einem FMU-141-Zünder versehen ist, verfügt die Ausführung MGM-168 über einen FMU-161-Zünder. Dieser hat neben einem Modus mit Annäherungszünder auch einen Verzögerungszünder-Modus zur Bekämpfung von verbunkerten Zielen. Die MGM-168 schwenkt sich im Zielanflug auf einen Winkel von annähernd 90° senkrecht zum Ziel. Dadurch befindet sich der Gefechtskopf im Moment der Detonation direkt über dem Ziel und entfaltet eine optimale Penetrations- bzw. Flächenwirkung.[2][3]

Varianten

Die Raketen der Hauptserien sind fett dargestellt.

  • MGM-140A ATACMS Block 1 (M39): Standardversion aus dem Jahr 1990 mit einem Gefechtskopf mit 950 M74-Bomblets (Streumunition). Wurden außer Dienst gestellt. Die Rümpfe mit dem Motor wurden für den Bau der M57 verwendet. Reichweite 165 km.[2]
  • MGM-140B ATACMS Block 1 (M39A): Mit einem Gefechtskopf mit 300 M74-Bomblets (Submunition). Zwischen 1997 und 2003 wurden 610 M39A produziert. Nach der Außerdienststellung wurden die Rümpfe mit dem Motor für den Bau der M57 verwendet. Reichweite 300 km.[6]
  • MGM-140C ATACMS Block 1A: Ursprüngliche Bezeichnung der MGM-164A ATACMS Block 2.
  • MGM-140D ATACMS Block 1A (M39A1): Verbesserte MGM-140B mit INS und GPS-Lenksystem. Eingeführt 1998. Wurden außer Dienst gestellt und zur M57E1 umgebaut. Reichweite 270–300 km.[2]
  • MGM-140E ATACMS Block 1A Unitary: Ursprüngliche Bezeichnung für die MGM-168A ATACMS Block 1A (QRU).
  • MGM-140 NTACMS: Projekt für die U.S. Navy. Start aus dem Mk.41-VLS. Projekt eingestellt.
  • MGM-168A ATACMS Block 1A (M48): Auch ATACMS-Quick-Reaction-Unitary (QRU) genannt. Mit einem 215 kg schweren WDU-18-Splittergefechtskopf mit FMU-141-Zünder. Zwischen 2001 und 2003 wurden 176 M48 produziert. Die Produktion wurde zu Gunsten der M57 eingestellt. Reichweite 270–300 km.
  • MGM-164A ATACMS Block 2 (M39A3): Mit 13 BAT (selbstzielsuchende Submunition). Reichweite 140 km. Entwicklung 2003 eingestellt.[7]
  • MGM-164B ATACMS Block 2A: Wie MGM-164A, aber mit sechs P3I I-BAT (selbstzielsuchende Submunition). Reichweite 220 km. Entwicklung eingestellt.
  • MGM-164 ATACMS 2000 (M57): Mit verbesserter Zielgenauigkeit und WDU-18-Gefechtskopf mit neuem FMU-161-Zünder ausgerüstet. Ab 2003 wurden 513 neue M57 produziert. Weitere M57 entstanden durch ältere nachgerüstete Raketen. Diese werden M57E1 bezeichnet. Reichweite 270–300 km.
  • MGM-168 ATACMS Block 3 (TACMS-P): Mit T2K-Steuersystem mit verbesserter Präzision. Mit Penetrationsgefechtskopf zur Bekämpfung von Bunkern. Projekt eingestellt.
  • MGM-168 ATACMS Block 3 (T2K): Mit T2K-Steuersystem mit verbesserter Präzision. Ausgerüstet mit All-In-One-Dispenser für verschiedene Kleinbomben und Bomblets. Projekt eingestellt.

Status

Die Produktionslinien für die ATACMS wurden 2007 geschlossen. Die in den Vereinigten Staaten älteren MGM-140-Bestände mit den Streumunition-Gefechtsköpfen werden z. T. nachgerüstet und mit dem WDU-18-Gefechtskopf bestückt. Mit dem Geschäftsjahr 2023 wurde die Umrüstung von 1700 ATACMS bewilligt.[8][9][10][11] Im Rahmen des Programms Long-Range Precision Fires haben die Streitkräfte der Vereinigten Staaten das Nachfolgesystem Precision Strike Missile (PrSM) mit einer Reichweite von mehr als 500 km entwickelt.

Technische Daten des ATACMS-Raketen

Kenngröße MGM-140A ATACMS Block 1 (M39) MGM-140D ATACMS Block 1A (M39A1) MGM-164 ATACMS 2000 (M57)
Einführungsjahr 1991 1998 2003
Antrieb Feststoffraketentriebwerk
Länge 3,96 m 4,00 m
Rumpfdurchmesser 604 mm
Flügelspannweite 1400 mm
Gewicht 1630 kg 1321 kg unbekannt
Nutzlast 560 kg 160 kg 215 kg
Sprengkopf 950 M74-Submunition 300 M74-Submunition WDU-18/B Penetrations- und Splittergefechtskopf
Einsatzreichweite 165 km 270–300 km
Lenksystem INS INS plus GPS
Streukreisradius (CEP) 225–250 m weniger als 100 m 10–20 m

Kriegseinsätze

Zweiter Golfkrieg

Der erste Kriegseinsatz erfolgte während des Zweiten Golfkriegs. Dabei wurden vom 6. Bataillon der 27. Feldartilleriebrigade 32 MGM-140A-ATACMS-Lenkwaffen gegen irakische Stellungen abgefeuert.[10]

Irakkrieg

Während des Irakkrieges 2003 feuerten die US-Streitkräfte 453 ATACMS ab.[10]

Krieg in Afghanistan 2001–2021

Im Krieg in Afghanistan 2001–2021 setzten die Streitkräfte der Vereinigten Staaten ATACMS-Raketen ein.[12]

Krieg gegen den Terror

Im Jahr 2016 wurden ATACMS auf HIMARS im Nordirak im Rahmen der Operation Inherent Resolve gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) eingesetzt.[13]

Russischer Überfall auf die Ukraine seit 2022

Die US-amerikanische Regierung entschied am 23. September 2023, der bereits länger gestellten ukrainischen Bitte nachzukommen, der Ukraine ATACMS-Raketen für die Verteidigung gegen den russischen Überfall auf die Ukraine zur Verfügung zu stellen.[14][15] Am 17. Oktober 2023 setzten ukrainische Streitkräfte erstmals ATACMS-Raketen bei einem Angriff auf ein Flugfeld in der Nähe des von Russland besetzten Berdjansk ein. Bei diesem Angriff kamen Raketen der Ausführung MGM-140A mit Baujahr 1997 zum Einsatz, welche mit Streumunition beladen sind.[16][17] Dabei sollen nach Medienberichten rund ein Dutzend Hubschrauber sowie ein Munitionsdepot und Flugabwehrraketensysteme zerstört bzw. beschädigt worden sein.[18][19] Ein zweiter Angriff mit ATACMS-Raketen erfolgte am 25. Oktober 2023. Dabei soll erfolgreich eine Stellung mit S-400-Flugabwehrraketensystemen in der Nähe von Luhansk beschossen worden sein.[20]

Nutzerstaaten

  • Australien Australien – 20 M142 HIMARS mit 10 M57-Raketen im Jahr 2022 bestellt.[21][22]
  • Bahrain Bahrain – 9 M270A1 mit 30 M39A1-Raketen und 110 M57-Raketen.[2]
  • Estland Estland – 18 M57-Raketen im Jahr 2022 bestellt.[22]
  • Griechenland Griechenland – 36 M270 mit 100 M39-Raketen und weitere M39A1-Raketen.[22]
  • Katar Katar – 70 M39A1-Raketen im Jahr 2012 bestellt.
  • Lettland Lettland – 18 M57-Raketen im Jahr 2022 bestellt.[21]
  • Marokko Marokko – 40 M57-Raketen im Jahr 2023 bestellt.[21]
  • Polen Polen – 20 M142 HIMARS mit 30 M57-Raketen im Jahr 2019 bestellt.[23][24][25]
  • Rumänien Rumänien – 54 M142 HIMARS (18 geliefert) mit M57-Raketen im Jahr 2019 bestellt.[26][25]
  • Korea Sud Südkorea – 58 M270 (48 M270 + 10 M270A1) mit 290 M39-Raketen und weitere M39A1-Raketen.[2]
  • Taiwan Taiwan – 65 M57-Raketen im Jahr 2020 bestellt.[22]
  • Turkei Türkei – 12 M270A1 mit 120 M39A1-Raketen.[2]
  • Ukraine Ukraine – Die Vereinigten Staaten haben eine unbekannte Anzahl ATACMS-Raketen an die Ukraine geliefert.[27][28]
  • Vereinigte Arabische Emirate Vereinigte Arabische Emirate – 32 M142 mit 226 Raketen.[29]
  • Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten – 991 M270A1 und 405 M142 mit ca. 2666 Raketen (davon 1019 М39, 576 М39А1, 118 М48, 513 М57, 220 М57Е1). Weitere 1615 M57E1 bis 2024 bestellt.
Commons: ATACMS – Sammlung von Bildern und Videos

Einzelnachweise

  1. M39 Army Tactical Missile System (Army TACMS). In: Globalsecurity.org. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 20. Juli 2019; abgerufen am 25. Juni 2022 (englisch).
  2. Duncan Lennox: Jane’s Strategic Weapon Systems – 38th Edition. Jane’s Information Group, Vereinigtes Königreich, 2003, ISBN 0-7106-0880-2. S. 211–215.
  3. Missilethreat.csis.org: MGM-140 Army Tactical Missile System (ATACMS)
  4. Hrw.org/: U.S. Using Cluster Munitions In Iraq
  5. Dtic.mil: Use of the Multiple Launch Rocket System (MLRS) in Military Operations on Urbanized Terrain (MOUT)
  6. Cat-uxo.com: MGM-140B (M39A1) ATACMS Missile
  7. Cat-uxo.com: MGM-140C (M39A2) ATACMS Missile
  8. National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2023. (PDF; 4,4 MB) Public Law 117–263; 117th Congress; 136 STAT. 2395. In: congress.gov. Kongress der Vereinigten Staaten – United States Congress, 23. Dezember 2022, abgerufen am 30. Oktober 2023 (amerikanisches Englisch).
  9. Lockheed Martin Delivers First Modernized TACMS Missile to US Army. In: armyrecognition.com. Army Recognition, 29. September 2016, abgerufen am 2. März 2017 (englisch).
  10. ATACMS Block IA Unitary. In: deagel.com. Deagel, abgerufen am 2. März 2017 (englisch).
  11. United States, Cluster Munition Ban Policy. In: the-monitor.org. Landmine and Cluster Munition Monitor, abgerufen am 8. August 2016 (englisch).
  12. Wesley Morgan: How the U.S. campaign in Iraq has escalated with a new weapon: rocket artillery. In: washingtonpost.com. The Washington Post, 24. November 2015, abgerufen am 2. März 2017 (englisch).
  13. Thomas Gibbons-Neff: U.S. rocket artillery based in Jordan is being used to strike Islamic State targets in Syria. In: washingtonpost.com. The Washington Post, 11. März 2016, abgerufen am 2. März 2017 (englisch).
  14. USA wollen Ukraine nun wohl doch ATACMS-Systeme liefern. In: Die Welt. 23. September 2023, ISSN 0173-8437 (welt.de [abgerufen am 29. September 2023]).
  15. Sebastian Gierke: „ATACMS“ für die Ukraine: Eine Waffe, die Moskau Probleme machen wird. Nach langem Zögern werden die USA der Ukraine Raketen vom Typ „ATACMS“ liefern. Auf den Krieg hat das große Auswirkungen. In: Süddeutsche Zeitung. 23. September 2023, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 29. September 2023]).
  16. Armyrecognition.com: Ukraine destroys two Russian airbases using ATACMS missiles for first time, abgerufen am 29. Oktober 2023.
  17. Thedrive.com: Destruction From Ukraine’s First ATACMS Strike Now Apparent, abgerufen am 29. Oktober 2023.
  18. Ukraine Fires ATACMS Missiles at Russian Forces for the First Time, wsj.com, abgerufen am 29. Oktober 2023.
  19. Iiss.org: Ukraine targets Russian airfields with US-supplied ATACMS missile, abgerufen am 29. Oktober 2023.
  20. Thedrive.com: Nine Days After Wrecking 21 Russian Helicopters, Ukraine’s M39 Missiles Are Dealing The Same Damage To Russian Air-Defenses, abgerufen am 29. Oktober 2023.
  21. Dsca.mil: Defense Security Cooperation Agency
  22. SIPRI Arms Transfers Database. In: sipri.org. Stockholm International Peace Research Institute, abgerufen am 29. Oktober 2023 (englisch).
  23. Poland – High Mobility artillery rocket system (HIMARS). In: dsca.mil. Defense Security Cooperation Agency, 28. November 2017, abgerufen am 25. Juni 2022 (englisch).
  24. Poland – High Mobility artillery rocket system (HIMARS) and related support and equipment. In: dsca.mil. Defense Security Cooperation Agency, 29. November 2017, abgerufen am 25. Juni 2022 (englisch).
  25. Majors Arms Sales. In: dsca.mil. Defense Security Cooperation Agency, abgerufen am 25. Juni 2022 (englisch).
  26. Romania – High Mobility artillery rocket system (HIMARS) and related support and equipment. In: dsca.mil. Defense Security Cooperation Agency, 18. August 2017, abgerufen am 25. Juni 2022 (englisch).
  27. Cnn.com: US has provided Ukraine long-range ATACMS missiles, sources say
  28. Yahoo.com: NYT: US delivered 20 ATACMS to Ukraine
  29. Trade Register auf sipri.org, abgerufen am 16. September 2018
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