Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund

Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) war von Juli 1919 bis Mai 1933 der Dachverband der Freien Gewerkschaften in Deutschland. Der ADGB war bis zur Zerschlagung durch die Nationalsozialisten die weltweit größte nationale gewerkschaftliche Dachorganisation.

Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
(ADGB)
Gründung 5. Juli 1919 in Nürnberg
Sitz Berlin
Vorläufer Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands
Nachfolger Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (DDR),
Deutscher Gewerkschaftsbund (BRD)
Auflösung 2. Mai 1933
Zweck Gewerkschaftsbund

Entstehung

Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund wurde auf dem ersten Nachkriegskongress der Freien Gewerkschaften am 5. Juli 1919[1] in Nürnberg als neuer Dachverband und organisatorischer Nachfolger der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands gegründet. Die Delegierten wählten Carl Legien, den bisherigen Vorsitzenden der Generalkommission, zum ersten Vorsitzenden der neuen Organisation. Nach dem Tod von Carl Legien im Jahr 1921 wurde Theodor Leipart Vorsitzender der Organisation. Höchstes Gremium des ADGB war der alle drei Jahre tagende Bundeskongress. Auf örtlicher Ebene existierten Ortsausschüsse des ADGB.

Aufbau, Entwicklung und Ausrichtung

ADGB-Mitgliedsbuch (Zeitwerkstadt)

Der ADGB war ein Zusammenschluss von 52 deutschen Gewerkschaften und durch Kooperationsverträge mit dem Allgemeinen freien Angestelltenbund (AfA-Bund) und dem Allgemeinen Deutschen Beamtenbund (ADB) verbunden. Seinen Namen mit dem Zusatz „Allgemeiner“ erhielt er, da im März 1919 die christlichen und liberalen Gewerkschaften mit der Gründung eines eigenen Dachverbandes den Namen Deutscher Gewerkschaftsbund bereits besetzt hatten. Die Politik des ADGB stand kurz nach seiner Gründung im Zeichen scharfer Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der SPD auf der einen Seite und der USPD und KPD auf der anderen. Es ging bei den Konflikten um Fragen zum zukünftigen Kurs der Freien Gewerkschaften. Mehrheitlich wurde entschieden, eine so genannte „Arbeitsgemeinschaft“ mit den Unternehmern zu billigen, die jedoch nach einigen Jahren wieder aufgegeben wurde.

Die Freien Gewerkschaften waren als Richtungsgewerkschaften nicht politisch neutral, sondern verstanden sich als ökonomischer Arm der sozialistischen Arbeiterbewegung. Neben den Freien gab es die Christlichen Gewerkschaften und die arbeitgebernahen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, die jedoch beide nie die Mitgliederzahlen der Freien Gewerkschaften erreichen konnten. Die Gewerkschaften des ADGB erreichten 1920 einen Höchststand von über 8 Millionen Mitgliedern. Durch die hohe Arbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise ging diese Zahl deutlich zurück: Ende 1932 wird die Mitgliederzahl auf noch 3,5 Millionen geschätzt.

Als einflussreiche Massenorganisation rief der ADGB unter dem Vorsitz von Carl Legien im März 1920 zu einem Generalstreik, der den rechtsgerichteten Kapp-Putsch nach wenigen Tagen zusammenbrechen ließ. Nur wenige Wochen zuvor, im Januar 1920, hatte der Reichstag auf Initiative des ADGB und der SPD – gegen den Protest von USPD, KPD und rechten Parteien – das Betriebsrätegesetz verabschiedet. Durch das Betriebsrätegesetz wurde die zuvor allgemeinpolitisch aufgetretene Rätebewegung in ihrem Wirken auf den betrieblichen Bereich beschränkt. Für jeden Betrieb war nun vorgeschrieben, bei mehr als fünf Arbeitnehmern Vertrauensleute und bei mehr als 20 Arbeitnehmern Betriebsräte zur Wahrnehmung der Interessen der Beschäftigten zu wählen. Die Betriebsräte besaßen nun bestimmte Rechte – ihre Hauptaufgabe lag darin, soziale Verbesserungen für die Arbeitnehmer zu erwirken (Entgegennahme von Beschwerden, Mitarbeit bei der Verbesserung von Arbeitsmethoden, Kooperation mit den Unternehmern, Mitwirkung bei der Beseitigung von Unfall- und Gesundheitsgefahren im Betrieb).

Trotz der Spaltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) während des Ersten Weltkriegs bestand weiter eine enge Bindung der Freien Gewerkschaften an die größte Arbeiterpartei. Einmütig kämpften SPD und ADGB für die Einführung der Arbeitslosenversicherung und den gesetzlich geregelten Achtstundentag, der durch die Arbeitszeitverordnung von 1923 massiv durchlöchert worden war. Gemeinsam gründete man Ende 1931 die Eiserne Front gegen die erstarkende NSDAP. Insbesondere zum Ende der Weimarer Republik verloren die ADGB-Gewerkschaften – unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise und durch die hohe Arbeitslosigkeit – zahlreiche Mitglieder. Damals verhielt sich der ADGB in seinem Vorgehen erheblich defensiver als zum Anfang der Weimarer Zeit.

Politische Auseinandersetzungen in der Endphase der Weimarer Republik

Die ADGB-Gewerkschaften waren zunächst auch für Angehörige anderer Arbeiterparteien bis hin zur KPD offen. Das änderte sich erst mit dem auf Drängen der Sowjetunion 1929 zustande gekommenen Beschluss der KPD, grundsätzlich mit konkurrierenden Listen bei Betriebsratswahlen anzutreten. Die Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition (RGO) entwickelte sich so zu einer kommunistischen Sondergewerkschaft, was zum Ausschluss zahlreicher Kommunisten aus ADGB-Gewerkschaften führte. Zum Beispiel bei den Wahlen zum Hauptbetriebsrat bei der Deutschen Reichsbahn 1929 erzielte die ADGB-Gewerkschaft EdED einen Stimmenanteil von 68,53 %, die RGO nur 6,46 Prozent.[2] Seit 1930 wurde die RGO als „rote Klassengewerkschaft“ in Gegnerschaft zum ADGB propagiert. Ab November 1930 entstanden mehrere „rote Verbände“ und es wurden mehrfach Übertrittskampagnen eingeleitet, die jedoch – bis auf lokale Ausnahmen (insbesondere in Berlin, Ruhrgebiet, Hamburg) – nie größere Erfolge erzielten. Die maximale Mitgliederzahl der gesamten RGO wurde im Jahr 1932 mit 322.000 Personen angegeben, wobei diese Zahl in der neueren Literatur als überhöht eingeschätzt wird.[3] Realistischer sind Zahlen zwischen 225.000 und 270.000. Die RGO vertiefte die Spaltung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, wodurch der Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigt wurde.

Anpassungspolitik, Zerschlagung, Widerstand und Verfolgung während des NS-Regimes

Gedenktafel am Haus, Wallstraße 65, in Berlin-Mitte

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und dem Wahlergebnis der Reichstagswahl vom 5. März 1933 bot die ADGB-Führung am 21. März 1933 an, sich „in den Dienst des neuen Staates zu stellen“.[4] Das Angebot der KPD vom 30. Januar, überbracht von Walter Ulbricht, eines gemeinsamen Generalstreiks, wie er 1920 erfolgreich den Kapputsch verhinderte hatte, lehnten SPD und ADGB ab.[5] Stattdessen riefen ADGB, SPD und von ihnen mitbestimmte Gruppen wie die Eiserne Front in Flugblätter und Zeitungen mit Erfolg dazu auf, den Streikaufrufen der KPD nicht zu folgen.[6][7] Nach dem von den bürgerlichen Parteien und der Zentrumspartei am 24. März mitbeschlossenen Ermächtigungsgesetz distanzierte sich der Vorsitzende Theodor Leipart am 29. März von der SPD und erklärte den ADGB für parteipolitisch neutral.[4] Dennoch wurde am 1. April 1933 das Gewerkschaftshaus in Hannover als erstes in Deutschland überfallen und besetzt.[8] Der Schachzug der Regierung, den 1. Mai 1933 zum gesetzlichen Feiertag zu machen, erzwang vom ADGB-Bundesvorstand, zur Teilnahme am „Feiertag der nationalen Arbeit“ aufzurufen.[4] Dies verhinderte nicht die Zerschlagung der Freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933. Die Gewerkschaftshäuser der Freien Gewerkschaften wurden handstreichartig von der SA und der NSBO besetzt, die Gewerkschaftsvermögen beschlagnahmt und zahlreiche Gewerkschafter verhaftet und misshandelt. Aus neueren Forschungen geht hervor, dass viele Gewerkschafter, die noch im Frühjahr 1933 die Anpassungspolitik[9] an das NS-Regime mittrugen, bald darauf im Widerstand tätig wurden. Angenommen wird (Stand 2011), dass die Intensität, der Umfang und die Reichweite gewerkschaftlicher Widerstandstätigkeiten gegen das NS-Regime in allen Organisierungsbereichen des ADGB bisher erheblich unterschätzt wurden.[10] Zahlreiche Gewerkschafter wurden verhaftet; nicht wenige starben in Konzentrationslagern oder wurden gezielt ermordet.

Publikationsorgan(e)

Das Organ des ADGB war die Gewerkschafts-Zeitung. Als theoretisch orientierte Zeitschrift erschien ab 1924 Die Arbeit.

Mitgliedsgewerkschaften des ADGB

Mitgliedsgewerkschaften und deren Vorgängerorganisationen (ab 1919).[11][12]

Gemeinwirtschaftliche Unternehmen

Der ADGB besaß einige gemeinwirtschaftliche Unternehmen, beispielsweise die 1924 gegründete Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten.

Am 29. Juli 1928 wurde in Bernau (Brandenburg) der Grundstein für die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes gelegt. Der Komplex wird seit Januar 2008 von der Handwerkskammer Berlin als Seminar- und Lehrgangshotel genutzt.[13]

Literatur (Auswahl)

  • Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jh., Bd. 4: Die Gewerkschaften in der Endphase der Republik 1930-1933, begr. von Erich Matthias, hrsg. von Hermann Weber, Klaus Schönhoven und Klaus Tenfelde, bearb. von Peter Jahn. Bund-Verlag, Köln 1988, ISBN 3-7663-0904-8
  • Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jh., Bd. 5: Gewerkschaften im Widerstand und in der Emigration, begr. von Erich Matthias, hrsg. von Siegfried Mielke und Hermann Weber, bearb. von Matthias Frese und Siegfried Mielke. Bund-Verlag, Frankfurt/Main 1999, ISBN 3-7663-0905-6
  • Gerard Braunthal: Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund. Zur Politik der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1981.
  • Detlev Brunner: Bürokratie und Politik des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftbundes. 1918/19 bis 1933 (Schriftenreihe der Otto-Brenner-Stiftung 55). Bund-Verlag, Köln 1992, ISBN 3-7663-2392-X
  • Hans-Joachim Buss: Dreimal Stunde Null : Gewerkschaft am Schienenstrang; Aufstieg u. Wandlungen, 1897 – 1972, Frankfurt am Main 1973.
  • Heinz Deutschland: Die Bibliothek der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau (1930–1933). Geschichte, Bestand, Verbleib, Überlieferung. In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft II/2003, S. 84–100.
  • Stefan Heinz: Moskaus Söldner? Der „Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins“: Entwicklung und Scheitern einer kommunistischen Gewerkschaft. VSA-Verlag, Hamburg 2010, ISBN 978-3-89965-406-6
  • Siegfried Mielke, Stefan Heinz (Hrsg.) unter Mitarbeit von Marion Goers: Funktionäre des Deutschen Metallarbeiterverbandes im NS-Staat. Widerstand und Verfolgung (= Gewerkschafter im Nationalsozialismus. Verfolgung – Widerstand – Emigration. Band 1). Metropol, Berlin 2012, ISBN 978-3-86331-059-2.
  • Siegfried Mielke: Gewerkschafterinnen im NS-Staat: Verfolgung, Widerstand, Emigration, Essen 2008, ISBN 978-3-89861-914-1
  • Siegfried Mielke: Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch. Bd. 1–4, Berlin 2002–2013, ISBN 3-89468-268-X (Bd. 1), ISBN 3-89468-275-2 (Bd. 2), ISBN 3-89468-280-9 (Bd. 3), ISBN 978-3-86331-148-3 (Bd. 4) [Bde. 2 und 3 hrsg. in Verbindung mit Günter Morsch, Bd. 4 hrsg. mit Stefan Heinz unter Mitarbeit von Julia Pietsch].
  • Werner Müller: Lohnkampf, Massenstreik, Sowjetmacht. Ziele und Grenzen der Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition (RGO) in Deutschland 1928 bis 1933. Bund-Verlag, Köln 1988, ISBN 3-7663-3063-2
  • Heinrich Potthoff: Freie Gewerkschaften 1918–1933. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1987, ISBN 3-7700-5141-6
  • Michael Ruck: Gewerkschaften – Staat – Unternehmer. Die Gewerkschaften im sozialen und politischen Kräftefeld 1914 bis 1933. (Gewerkschaften in Deutschland, Bd. 3). Bund-Verlag, Köln 1990, ISBN 3-7663-2159-5
  • Kurt Schilde: „Das war das Ende“. Durch den nationalsozialistischen Terror 1933 in Berlin ermordete Gewerkschafter, In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft III/2013.
  • Michael Schneider: Kleine Geschichte der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung in Deutschland von den Anfängen bis heute. J.H.W. Dietz Verlag, Bonn 1989, ISBN 3-8012-0143-0

Volltext-Angebote im Internet

Commons: Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Deutsches Historisches Museum: 1919, abgefragt am 4. Juli 2009
  2. Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands: Jahrbuch 1929, 1930, S. 79–84
  3. Zu Details der Entwicklung der RGO und deren „rote Verbände“ vgl. Stefan Heinz: Moskaus Söldner? Der „Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins“: Entwicklung und Scheitern einer kommunistischen Gewerkschaft, Hamburg 2010, passim, hier S. 32 ff.
  4. Hans-Joachim Buss (1973): Dreimal Stunde Null. Gewerkschaft am Schienenstrang ; Aufstieg und Wandlungen 1897-1972. Verlag Hauptvorstand der GdED, S. 144–156
  5. Heinz, Niemann, Die ignorierten Mahnrufe, https://dasjahr1933.de/die-ignorierten-mahnrufe/
  6. Klaus Kinner, Die verkannte Niederlage. Das Dilemma des deutschen Kommunismus 1933, https://dasjahr1933.de/556/
  7. Hessischer Volksfreund vom 2.2.1933, https://dasjahr1933.de/eiserne-front-und-reichsbanner-warnen-vor-wilden-aktionen-2-februar-1933/
  8. Helmut Knocke, Hugo Thielen: Goseriede 4, In: Hannover Kunst- und Kultur-Lexikon, S. 135
  9. Anpassungspolitik der Gewerkschaftsführungen (Memento des Originals vom 17. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www2.igmetall.de – aus: Herbert Borghoff (2002): „Die Bürde des Menschen ist antastbar – 200 Jahre Geschichte der deutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung“
  10. Siegfried Mielke, Stefan Heinz (Hrsg.) unter Mitarbeit von Marion Goers: Funktionäre des Deutschen Metallarbeiterverbandes im NS-Staat. Widerstand und Verfolgung (= Gewerkschafter im Nationalsozialismus. Verfolgung – Widerstand – Emigration. Band 1). Metropol, Berlin 2012, ISBN 978-3-86331-059-2, S. 11 ff.
  11. Ludwig Heyde: Internationales Handwörterbuch des Gewerkschaftswesens – Band 1. 1931 (fes.de [abgerufen am 6. Mai 2021]).
  12. Ludwig Heyde: Internationales Handwörterbuch des Gewerkschaftswesens – Band 2. 1931 (fes.de [abgerufen am 6. Mai 2021]).
  13. Märkische Oderzeitung. Brandenburger Blätter, 25. April 2008, Seite 3
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