4. documenta

Die 4. documenta internationale Ausstellung fand vom 27. Juni bis 6. Oktober 1968 in Kassel statt, zum letzten Mal unter der Leitung von Arnold Bode. Schwerpunkt waren die Werke der Arrivierten der jüngsten Kunst-Avantgarde und weniger die geachteten Meister der mittleren und älteren Generation. Erstmals wurde die documenta als „wichtigste europäische Kunst-Ausstellung des Jahrzehnts“ wahrgenommen (Time-Magazine).[1]

Grafik von Frank Stella zur 4. documenta (aus seiner Wedge Series V)
Werk von Ronald Davis, heute ausgestellt im MoMA

Organisation

Die Organisationsform war gegenüber den vorhergehenden documenten grundlegend geändert worden. Ein 23-köpfiger documenta-Rat stimmte, nach Vorentscheid durch Arbeitsausschüsse, über die endgültige Teilnahme von Künstlern ab. Arnold Bode war Mitglied in allen Arbeitsausschüssen. Das Auswahlverfahren war erstmals weitgehend demokratisch strukturiert.

Im Aufbruchs- und Unruhe-Jahr 1968 blieb auch die IV. documenta nicht von den gesellschaftlichen Ereignissen und kontroversen Debatten verschont. Die Pressekonferenz der Eröffnungsveranstaltung wurde massiv gestört. An dieser Protest-Veranstaltung nahmen unter anderem Künstler wie Wolf Vostell und Jörg Immendorff teil, die Kunstrichtungen wie Fluxus, Happening, Aktionskunst und politisch-kritische Beiträge im Ausstellungskonzept vermissten.

Die gefällige Pop Art und Op-Art dominierten die IV. documenta. Diese, im damaligen Zeitgeschmack liegenden Stilrichtungen trugen stark zur Popularisierung der Ausstellung bei, was sich auch durch einen neuen Besucherrekord von 207.000 interessierten Menschen dokumentierte.

Die 4. documenta war die „jüngste“ der damaligen documenten, da fast nur Kunstwerke ausgewählt wurden, die in den letzten vier Jahren entstanden waren. Nur fünf ausstellende Künstler waren bereits verstorben, darunter Yves Klein, Morris Louis und Josef Albers. Gleichzeitig ging diese documenta als documenta americana in die Geschichte ein, da die US-Amerikaner mit 57 teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern vor Deutschland das größte nationale Kontingent stellten.

Bazon Brock organisierte zum ersten Mal seine Besucherschule, die die Interessierten an Kunstbetrachtung und Kunstrezeption heranführen sollte. Die Besucherschule wurde noch zwei weitere Male auf der documenta 5 und der documenta 6 offiziell veranstaltet.

Finanzierung

Insgesamt wurde das Budget mit 2 Millionen Deutsche Mark festgelegt, das Land Hessen und die Stadt Kassel zahlten davon erst 700.000 Mark, später zusätzliche 400.000 Mark. Dieses Budget schien jedoch bald als wenig realistisch gemessen an der Planung, so dass es zu Kürzungen des Programms kam. Ein Organisationsausschuss musste in die Entscheidungen des Documenta-Rats eingreifen. Zwei Ratsmitglieder, der Düsseldorfer Museumsdirektor Werner Schmalenbach und der Kasseler Maler Fritz Winter verließen daher aus Protest den Rat. Versicherungen und Transporte machten einen großen Posten der Ausgaben aus.[1]

Erst durch eine Bildspende der Documenta-Künstler konnten Sockel und Scheinwerfer für die Skulpturen-Ausstellung im Parkgelände überhaupt finanziert werden. Einige Künstler suchten sich Mäzene, die in einigen Fällen auch die Kunstwerke später kauften.

Eine Architekturausstellung als Bestandteil der documenta wurde aus Kostengründen gestrichen.

Ausstellungsorte

Wiederum fand die Ausstellung in den Räumen des Museum Fridericianums, der Ruine der Orangerie mit Freigelände (Karlswiese der Karlsaue) und in der Galerie an der Schönen Aussicht, der heutigen Neuen Galerie statt.

Kunstwerke

Prägend für die IV. documenta waren die bunten Beiträge der Pop Art, vor allem der US-amerikanischen Künstler, die die Ausstellung dominierten. Andy Warhols populäre „Marilyn“, nach Marilyn Monroes Tod entstanden, prangte 10-teilig und unvergessen in der Ausstellung. Hier wurde gleichzeitig die Verehrung von Idolen als auch die Reproduzierbarkeit von Kunst thematisiert. Ein weiterer Vertreter der Pop Art war Allen Jones, der sein Triptychon Perfect Match präsentierte.

Weitere auf der IV. documenta vertretene Kunstrichtungen und Ausdrucksformen waren die Op-Art, die Kinetische Kunst, das Environment und der Minimalismus.

5600 Kubikmeter Paket

Christo war mit zwei Kunstwerken vertreten, einer Ladenfront mit leeren Schaufenstern sowie das 5600 Kubikmeter Paket – ein 85 Meter hohes zylindrisches, luftgefülltes Paket, finanziert wurde das Kunstwerk mit 300.000 Mark durch einen Mäzen aus den USA. Das Kunstwerk musste beim Kasseler Regierungspräsidenten als „stationäres Luftfahrzeug“ registriert werden und musste nach Behördenvorschrift bei Windstärke sechs oder starkem Gewitter unverzüglich niedergelegt werden[2].

Beim ersten und zweiten Versuch, das Kunstwerk zu errichten, wurde eine heliumgefüllte Polyethylen-Hülle aus den USA verwendet. Anschließend wurde eine dickwandigere Trevira-Hülle mit einem 70 m hohen Kran hochgezogen, erst im vierten Anlauf klappte das Aufrichten. Die Versuche haben so große Aufmerksamkeit erregt, dass vielfach behauptet wird, die Fehlversuche hätten den größten Anteil an der Popularität der „Riesenwurst“ bewirkt.

Teilnehmende Künstler

Insgesamt nahmen 151 Künstler an der Ausstellung teil:

A
Josef AlbersGetulio AlvianiCarl AndreHorst AntesRichard Anuszkiewicz
Shūsaku ArakawaArmanRichard Artschwager
B
Jo BaerLarry BellBen BernsJoseph BeuysRonald Bladen
Peter BrüningPol BuryBazon Brock
C
Antonio CalderaraSérgio de CamargoAnthony CaroEnrico CastellaniJorge Castillo
César (César Baldaccini)Eduardo ChillidaChristo und Jeanne-ClaudeChryssaEmil Cimiotti
Gianni ColomboJoseph Cornell
D
Ron DavisAd DekkersHugo DemarcoBurgoyne DillerJim Dine
Mark di SuveroMilan DobešJean Dubuffet
E
Pieter EngelsJohn Ernest
F
Öyvind FahlströmDan FlavinLucio FontanaGünter Fruhtrunk
G
Rupprecht GeigerKlaus GeldmacherKarl GerstnerDomenico GnoliRoland Goeschl
Daan van GoldenGerhard von GraevenitzGotthard Graubner
H
Raymond HainsRichard HamiltonErich HauserErwin HeerichAl Held
Edward HigginsAnthony HillDavid HockneyJohn Hoyland
I
Robert Indiana
J
Alain JacquetAlfred JensenJasper JohnsAllen JonesDonald Judd
K
Menashe KadishmanUtz KampmannEllsworth KellyEdward KienholzPhillip King
Ronald B. KitajKonrad KlapheckYves KleinJiří KolářGyula Kosice
Nicholas Krushenick
L
Thomas LenkJulio Le ParcSol LeWittRoy LichtensteinRichard Lindner
Richard Paul LohseFrancesco Lo SavioMorris Louis
M
Robert MalavalJos MandersPiero ManzoniEnzo MariWalter De Maria
Francesco MariottiEscobar MarisolKenneth MartinAlmir MavignierChristian Megert
François MorelletRobert MorrisBruno Munari
N
Bruce NaumanEdgar NegretLouise NevelsonBarnett NewmanKenneth Noland
Lev V. NussbergConstant Nieuwenhuys
O
Claes OldenburgJules Olitski
P
Eduardo PaolozziWalter PichlerMichelangelo PistolettoLarry Poons
R
Markus RaetzRamonRobert RauschenbergRoger RaveelMartial Raysse
Josua ReichertAd ReinhardtGeorge RickeyBridget RileyLarry Rivers
James RosenquistDieter Roth
S
Lucas SamarasMichael SandleJan SchoonhovenGeorge SegalDan Van Severen
David SmithRichard SmithTony SmithRobert StanleyFrank Stella
Zdeněk Sýkora
T
Shinkichi TajiriTakisPaul TalmanAntoni TàpiesHervé Télémaque
Paul ThekJoe TilsonJean TinguelyErnest TrovaWilliam Tucker
William TurnbullMichael Tyzack
U
Günther UeckerPer Olof Ultvedt
V
Victor VasarelyCarel VisserJan Voss
W
Andy WarholTom WesselmannHorace Clifford Westermann

Gegenveranstaltungen

Dieter Ruckhaberle veranstaltete während der dokumenta-zeit eine Alternativ-Ausstellung politisch engagierter Kunst. Wolf Vostell machte ein „Anti-Documenta-Hearing“. Dessen Unterstützer gossen bei einer Sitzung des Documenta-Rat Honig auf den Konferenztisch, während einige „aus Aggressivität im Geiste“ Ratsmitglieder und Teilnehmer auf die Wangen küssten.

Bazon Brock kündigte an, eine „Besucher-Schule“ aufzumachen, in der Interessierten „Aneignungstechniken und Rezeptionspraktiken nahegebracht“ wurden. Diese Veranstaltung wurde jedoch in das documenta-Konzept integriert.[1]

Quellen und Literatur

  • Ausstellungskatalog zur IV. documenta: IV. documenta. Internationale Ausstellung; Katalog: Band 1: (Malerei und Plastik); Band 2: (Graphik/Objekte); Kassel 1968
  • Dieter Westecker u. a. (Hrsg.): documenta-Dokumente: 1955–1968 – Vier internationale Ausstellungen moderner Kunst – Texte und Fotografien. Kassel 1972, ISBN 3-87013-007-5
  • Manfred Schneckenburger (Hrsg.): documenta – Idee und Institution: Tendenzen, Konzepte, Materialien. München 1983, ISBN 3-7654-1902-8
  • Harald Kimpel: documenta, Mythos und Wirklichkeit. Köln 1997, ISBN 3-7701-4182-2
  • Dirk Schwarze: Meilensteine: 50 Jahre documenta. Kassel 2005, ISBN 3-9369-6223-5
  • Michael Glasmeier und Karin Stengel (Hrsg.): 50 Jahre/Years documenta 1955–2005. 2 Bände: Diskrete Energien / archive in motion. Kassel 2005, ISBN 3-86521-146-1
  • Kulturamt der Stadt Kassel/documenta Archiv (Hrsg.) / CIS GmbH (Prod.); CD: Documenta 1–9 – Ein Focus auf vier Jahrzehnte Ausstellungsgeschichte / Profiling four decades of exhibition history – 1955–1992. Kassel/Würzburg 1997, ISBN 3-8932-2934-5
  • Harald Kimpel und Karin Stengel: documenta IV 1968 Internationale Ausstellung – Eine fotografische Rekonstruktion (Schriftenreihe des documenta-Archives); Bremen 2007, ISBN 978-3-86108-524-9
Commons: Documenta 4 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. DOCUMENTA: Aggressiv geküßt. In: Der Spiegel. Nr. 27, 1968 (online).
  2. CHRISTO: Leerer Laden. In: Der Spiegel. Nr. 33, 1968 (online).
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