29. Sinfonie (Haydn)

Die Sinfonie Hoboken-Verzeichnis I:29 in E-Dur komponierte Joseph Haydn im Jahr 1765 während seiner Anstellung als Vize-Kapellmeister beim Fürsten Nikolaus I. Esterházy.

Allgemeines

Joseph Haydn (Gemälde von Ludwig Guttenbrunn, um 1770)

Die Sinfonien Nr. 12, 29 und Nr. 44 bilden die einzigen im Gesamtwerk von Franz Joseph Haydn in der für die damalige Zeit ungewöhnlichen Sinfonie-Tonart E, die ersten beiden in Dur, die letzte in Moll. Die beiden E-Dur-Sinfonien weisen einige charakterliche Ähnlichkeiten auf, insbesondere in der sanglich-lyrischen Gestaltung des Kopfsatzes. Die Sinfonie Nr. 29 ist jedoch viersätzig und hat ein für die damalige Zeit besonders gewichtiges Finale.[1][2]

Ebenfalls im Jahr 1765 komponierte Haydn die Sinfonien Nr. 28, Nr. 30 und Nr. 31.

Zur Musik

Besetzung: zwei Oboen, zwei Hörner, zwei Violinen, Viola, Cello, Kontrabass. Zur Verstärkung der Bass-Stimme wurde damals auch ohne gesonderte Notierung ein Fagott eingesetzt. Über die Beteiligung eines Cembalo-Continuos in Haydns Sinfonien bestehen unterschiedliche Auffassungen.[3]

Aufführungszeit: ca. 15 bis 20 Minuten (je nach Einhalten der vorgeschriebenen Wiederholungen).

Bei den hier benutzten Begriffen der Sonatensatzform ist zu berücksichtigen, dass dieses Modell erst Anfang des 19. Jahrhunderts entworfen wurde (siehe dort) und für eine Sinfonie von 1765 nur mit Einschränkungen herangezogen werden kann. – Die hier vorgenommene Beschreibung und Gliederung der Sätze ist als Vorschlag zu verstehen. Je nach Standpunkt sind auch andere Abgrenzungen und Deutungen möglich.

Erster Satz: Allegro di molto

E-Dur, 3/4-Takt, 140 Takte

Haydn hatte den Satz ursprünglich mit „Allegro ma non troppo“ überschrieben, dann auf „Allegro piu tosto molto“ und schließlich auf „Allegro di molto“ geändert.[4]

Der Satz eröffnet mit dem ersten Thema (Hauptthema), das periodisch aus je vier Takten Vorder- und Nachsatz aufgebaut ist. Ungewöhnlich für den Beginn einer Sinfonie dieser Zeit, hat es einen zurückhaltend-wiegenden Charakter. Dieser kommt durch die gleichmäßige Viertelbewegung mit Bögen und die sehr sangliche Melodieführung zustande. Bemerkenswert ist auch der Umfang des Vordersatzes, in dem nur Streicher spielen, vom Intervall einer None. Im Nachsatz antworten die beiden Oboen in Terzen mit untergeordneter Begleitung von Viola, Cello und Kontrabass. Das Thema wird nun mit verändertem, sechstaktigen Nachsatz wiederholt. Ab Takt 18 beginnt ein neuer Abschnitt im Forte und mit vollem Orchestereinsatz. Kennzeichnend ist ein Motiv mit großem Intervallsprung (None / Dezime) aufwärts / abwärts mit betonter Zählzeit auf dem zweiten Viertel des Taktes(Synkope), wodurch die vorher dominierende wiegende Bewegung etwas aufgelockert wird. Es schließen sich ab Takt 39 ff. Triolenläufe in den Violinen an, bevor der Schlussabschnitt mit charakteristischem Triolenmotiv ab Takt 46 das Ende der Exposition ankündigt.

Die Durchführung (Takt 51–99) beginnt piano mit dem Hauptthema in der Dominante H-Dur, dann wird die gleichmäßige, wiegende Viertelbewegung fortgesponnen und schließlich durch Triolen-Figuren im Forte abgelöst. Die Bewegung beruhigt sich wieder, und nach einer Viertelpause beginnt in Takt 100 die Reprise. Diese ist ähnlich der Exposition strukturiert, jedoch wird beispielsweise das Hauptthema nicht wiederholt, sondern fortspinnungsartig weitergeführt, und der Triolenabschnitt kurz vor Schluss ist durch Sequenzierung angereichert. Durchführung und Reprise werden wie die Exposition wiederholt.[5]

Howard Chandler Robbins Landon[6] bezeichnet den Satz als typisches Beispiel eines „singenden Allegros.“

Zweiter Satz: Andante

A-Dur, 2/4-Takt, 96 Takte, nur Streicher

Die Melodie des periodisch aufgebauten ersten „Themas“ (oder: Hauptthemas) ist aus kleinen Motivfloskeln aufgebaut, die im Piano versetzt zwischen 1. und 2. Violine gespielt wird.[7] Nach acht Takten wird das Thema wiederholt, nun aber mit vertauschten Rollen der beiden Violinen. Zwischen der ersten Vorstellung des Themas und der Wiederholung sowie nach der Wiederholung spielen Viola, Cello und Kontrabass eine schnelle Unisono-Figur im Forte.

Das zweite „Thema“(Takt 18–28) gleicht im Aufbau sehr stark dem vorigen, man könnte es auch als Fortsetzung desselben ansehen. Bemerkenswert ist aber, dass beide Violinen im Nachsatz gemeinsam im Terzabstand – also nicht mehr abwechselnd – spielen. Von Takt 29 bis zum Ende der Exposition in Takt 39 dominieren Synkopen über schreitenden Bässen.

Im Durchführungsteil wird der Dialog zwischen den Violinen zunächst fortgesetzt, wendet sich ab Takt 47 nach Moll und bekommt eine etwas mehrstimmige Wirkung, da beide Violinen nun gegeneinander arbeiten. Von Takt 54 bis zur Reprise in Takt 64 sind wieder Synkopen vorherrschend. Die Reprise beginnt mit dem ersten Thema in der gewohnten dialogischen Struktur. Es folgt ab Takt 79 der Synkopenabschnitt. Vor der eigentlichen Schlussgruppe, die aus der Unisono-Figur von der Exposition besteht, hat das Hauptthema noch einen Kurzauftritt (Takt 91–93). Durchführung und Reprise werden wie die Exposition wiederholt.[5]

Christa Landon (1962)[4] spricht von einem „durchsichtigen Gefüge“ sowie einem „sich zu einem Ganzen schließenden witzigen Dialog zwischen den Violinen“ Dagegen kritisiert Johann Adam Hiller (1770)[8]: „(…) im Andante aber hat der Componist die Melodie auf eine lächerliche Art unter die erste und andere Violin getheilt (…).“[9]

Dritter Satz: Menuet – Allegretto

E-Dur, 3/4-Takt, mit Trio 66 Takte

Kraftvoll-energisch ist der Hauptteil des Menuetts mit absteigender Melodielinie und Echo im Piano. Dazu kontrastiert das Trio in e-Moll für Streicher und Horn, das „die Atmosphäre der östlichen Volksmusik“[4] atmet: Es ist durchweg im Piano gehalten mit feierlich-düsterem Klangteppich der orgelpunktartig gesetzten Hörner, während die Streicher im Staccato lediglich Farbtupfer in die Atmosphäre einbringen. Möglicherweise ist das Trio durch slawische Volksmusik inspiriert (ebenso in den Trios der im selben Jahr komponierten Sinfonien Nr. 28 und Nr. 30). Antony Hodgson[10] zieht die Möglichkeit in Betracht, dass der Cembalospieler dazu eine Melodie zu improvisieren habe.

Vierter Satz: Finale. Presto

E-Dur, 2/2-Takt (alla breve), 185 Takte

Fast den ganzen Satz hindurch spielen Viola, Cello und Kontrabass takt- bis abschnittsweise denselben Ton, was eine pochende, vorwärtstreibend-energische Wirkung hervorruft. Walter Lessing[11] spricht beim Presto vom „Höhepunkt des Werkes“, Christa Landon[4] von einem „großartigen, stürmischen“ Finale, und Howard Chandler Robbins Landon[12] weist zudem auf den Kontrast zum Charakter der vorigen Sätze hin.

Der Satz beginnt mit dem ersten Thema (Hauptthema) in kraftvoller Bewegung: Der Vordersatz mit aufsteigenden Intervallen in halben Noten, vorgetragen im Unisono-Forte[13], der Nachsatz mit Gegenbewegung angereichert. Der folgende, recht lange Abschnitt bis Takt 47 ist durch die pochende Viertelbewegung und ab Takt 34 durch eine sequenzierte Tonleiter abwärts gekennzeichnet. Eine zusätzliche dynamische Komponente kommt durch Vorhalte in den Violinen zustande, in welche die Viola mit betontem Viertelschlag einsetzt. Nach einem Tremolo (Takt 48–51) beruhigt sich die Bewegung von Takt 53 bis 65 mit bogenartigen halben Noten (ähnlich dem Satzanfang) und Chromatik, bevor der Schlussabschnitt mit seinem Laufmotiv über eine Oktave aufwärts das Ende der Exposition in Takt 81 ankündigt.

Die Durchführung (Takt 82–110) beginnt piano als Fortspinnung des Hauptthemas, unterlegt von der pochenden Viertelbewegung. Dann greifen Viola, Cello und Bass das Thema im Forte auf, überlagert voem Tremolo der Violinen bzw. Akkorden der Bläser (Takt 95–110). Die Reprise (Takt 111 ff.) ist ähnlich der Exposition strukturiert, weist aber einen zusätzlichen Abschnitt mit dem Laufmotiv über eine Oktave aufwärts auf (Takt 123–137). Durchführung und Reprise werden wie die Exposition wiederholt.[5]

Siehe auch

Weblinks, Noten

Einzelnachweise, Anmerkungen

  1. A. Peter Brown: The Symphonic Repertoire. Volume II. The First Golden Age of the Vienese Symphony: Haydn, Mozart, Beethoven, and Schubert. Indiana University Press, Bloomington & Indianapolis 2002, ISBN 0-253-33487-X; S. 99
  2. James Webster (Informationstext zur Sinfonie Nr. 29 von Joseph Haydn der Haydn-Festspiele Eisenstadt, siehe unter Weblinks) meint, dass die Sinfonie Nr. 29 die erste sei, bei der Haydn das Finale zum Schwerpunkt gestaltet habe (d. h. die erste Finalsinfonie).
  3. Beispiele: a) James Webster: On the Absence of Keyboard Continuo in Haydn's Symphonies. In: Early Music Band 18 Nr. 4, 1990, S. 599–608); b) Hartmut Haenchen: Haydn, Joseph: Haydns Orchester und die Cembalo-Frage in den frühen Sinfonien. Booklet-Text für die Einspielungen der frühen Haydn-Sinfonien., online (Abruf 26. Juni 2019), zu: H. Haenchen: Frühe Haydn-Sinfonien, Berlin Classics, 1988–1990, Kassette mit 18 Sinfonien; c) Jamie James: He'd Rather Fight Than Use Keyboard In His Haydn Series. In: New York Times, 2. Oktober 1994 (Abruf 25. Juni 2019; mit Darstellung unterschiedlicher Positionen von Roy Goodman, Christopher Hogwood, H. C. Robbins Landon und James Webster). Die meisten Orchester mit modernen Instrumenten verwenden derzeit (Stand 2019) kein Cembalocontinuo. Aufnahmen mit Cembalo-Continuo existieren u. a. von: Trevor Pinnock (Sturm und Drang-Sinfonien, Archiv, 1989/90); Nikolaus Harnoncourt (Nr. 6-8, Das Alte Werk, 1990); Sigiswald Kuijken (u. a. Pariser und Londoner Sinfonien; Virgin, 1988 - 1995); Roy Goodman (z. B. Nr. 1-25, 70-78; Hyperion, 2002).
  4. Christa Landon: Joseph Haydn: Symphony No. 29 E major. Ernst Eulenburg Ltd. No. 562, London / Zürich ohne Jahresangabe, 22 S. (Taschenpartitur, Vorwort und Revisionsbericht von 1962)
  5. Die Wiederholungen der Satzteile werden in einigen Einspielungen nicht eingehalten.
  6. Howard Chandler Robbins Landon: Haydn: Chronicle and works. The early years 1732 – 1765. Thames and Hudson, London 1980, S. 570.
  7. Dies ist jedoch beim Hören nicht ohne weiteres erkenntlich; für einen zeitgenössischen Zuhörer und Zuschauer dürfte diese Wirkung jedoch verständlich gewesen sein.
  8. Johann Adam Hiller: Wöchentliche Nachrichten und Anmerkungen, die Musik betreffend. Leipzig 1770. Zitiert bei Landon, 1962.
  9. Hiller äußert sich insgesamt abfällig über die Sinfonie Nr. 29, noch mehr aber über Nr. 28.
  10. Antony Hodgson: The Music of Joseph Haydn. The Symphonies. The Tantivy Press, London 1976, ISBN 0-8386-1684-4, S. 66
  11. Walter Lessing: Die Sinfonien von Joseph Haydn, dazu: sämtliche Messen. Eine Sendereihe im Südwestfunk Baden-Baden 1987-89. Band 1. Baden-Baden 1989, S. 97.
  12. Howard Chandler Robbins Landon: The Symphonies of Joseph Haydn. Universal Edition & Rocklife, London 1955, S. 250: “The crowning movement of No. 29 is its finale. lt is a fine example of the nervous energy which begins more and more to characterize Haydn‘s quick movements. The fury and fire which consume this Presto are completely unexpected, coming, as they do, after the almost rustic tranquillity of the preceding parts of the symphony. The forte unison opening is an effect which Haydn later used in his first movements in the years 1772-1774.”
  13. Der Beginn des Satzes erinnert etwas an die Eröffnung vom Konzert Es-Dur KV 268, das möglicherweise von Wolfgang Amadeus Mozart komponiert oder skizziert wurde.
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